Politik vor Ort: Die Bürgermeister/innen und die Flüchtlinge

Dannenbergs Bürgermeisterin Elke Mundhenk
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Dannenbergs Bürgermeisterin Elke Mundhenk: „Brauchen viel Geduld“

Goslar: Mit Flüchtlingen den Harz retten

Vor einem Jahr hatte Oberbürgermeister Oliver Junk gefordert, mehr Flüchtlinge in seine Stadt Goslar zu schicken. Das sei ein probates Mittel gegen den demografischen Wandel, hier gebe es Wohnungen – das sei also für alle besser. Innenminister Pistorius (SPD) lud ihn nach Hannover ein. Passiert ist seitdem nichts, sagt Junk, nur seine Einstellung, die sei noch deutlicher. Vor einem Jahr sei er relativ sicher gewesen, dass die Flüchtlinge eine Chance seien. „Heute bin ich sicher – ohne Einschränkung“, sagt Junk. Karrierist nennen manche den 39-Jährigen, der „Stern“ beschrieb Junk als „begnadeten Selbstvermarkter“. Sie unterstellen, dass der Zugezogene aus Bayern die Harzstadt Goslar nur als Station sieht und die Flüchtlinge als dankbares mediales Thema.

Oliver Junk
Weil er als CSUler in den Harz kommt und recht bald aneckt, nennen sie ihn dort schnell den „Mini-Seehofer“. Als er die Laternen nachts ausschalten lässt – die klamme Stadt muss sparen – da heißt er „Fürst der Finstern“. Die Spitznamen seien ihm egal, er kokettiert gerne damit, dass er auch mal unorthodox vorgeht. „Ich denke nicht in kleinen Karos“, sagt Junk.

Goslar sei nicht bloß ein Ort zum Wandern und Weltkulturerbe-Anschauen, sagt Junk. „Wir haben hier bestens aufgestellte Unternehmen aus dem Mittelstand, die Spitzenprodukte herstellen“, sagt der Bürgermeister. Es gehe jetzt darum, zu sehen, was die Unternehmen brauchen und was die Flüchtlinge können. Dass die wollen, daran zweifelt Junk nicht. Man entdecke die Talente aber schlicht nicht, weil man nicht danach fragt.

Jetzt hat Junk nachgelegt in Sachen Flüchtlingspolitik. Gemeinsam mit seinem Parteifreund, dem ehemaligen niedersächsischen Innenminister Uwe Schünemann, hat er Ende November das „Modell Goslar – Integrationszentrum mit Case Management“ vorgestellt. Im ehemaligen Augustinerkloster Grauhof, bis 2007 ein Familienerholungsheim der Caritas, soll dieses Modell Wirklichkeit werden.
Es könnten zunächst etwa 250 Menschen dort einen Platz finden. „Flüchtlinge mit Bleibeperspektive“ sollen dort drei Monate lang leben und mit Crashkursen auf den Weg der Integration gebracht werden, mit Sprachkursen, Praktika und weitere Fortbildungen, etwa zum Alltagsleben in Deutschland. Sprache lernen, Kulturbarrieren abbauen, ankommen und zeigen, was möglich ist – so sieht Junk diese Phase. Die Flüchtlinge könnten dann auch Kontakt zu örtlichen Unternehmen bekommen. Das Kloster sei ein guter Ort. Denn die dezentrale Unterbringung, sagt Junk, die sei ja schön und gut. Sie habe aber auch Nachteile für die Organisation bei der Flüchtlingshilfe.

Aus Hannover gab es bislang keine Reaktion. Junk hat nicht damit gerechnet, und macht dennoch keinen Hehl aus seiner Enttäuschung. „Das Land ist sehr behäbig“, sagt Junk. Er habe das Gefühl, dass hier viel an Parteipolitik scheitere, dass er von Rot-Grün in Hannover gar nicht gehört werde. Dabei bräuchte es doch Modellprojekte, gerade jetzt, wo es diese nie gesehene Herausforderung gibt in so vielen Städten und Kommunen im Land. „Es gibt die, die sich auf den Rücken legen“, sagt Junk. So ticke er nicht.

In Goslar rechnet Junk mit weiterer Kritik an seiner Arbeit. „Ich bekomme nicht alle mit“, sagt Junk. Es gibt die Zweifler/innen in seiner Stadt, es gibt die Demonstrationen der Pegida-Leute, auch in Goslar. Aber Junk ist sicher: Das ist die Minderheit. Den Wohlstand in Goslar könne man nur erhalten, wenn Menschen von Außen dazukommen.

Einen neuen Spitznamen brauche er auch nicht, sagt Junk. Wenn die Leute in ein paar Jahren über ihn sagen: Der Junk, der hat sich nicht abschrecken lassen, der war beharrlich – dann ist das ein Erfolg, so sieht er das. „Aber der größte Erfolg ist jeder Flüchtling, der in Goslar bleibt und ein Teil der Stadtgesellschaft wird.“

Osterode: Vom Vorteil der Parteilosigkeit

Klaus-Peter Becker
Im nahen Osterode bekommt man natürlich mit, was Bürgermeister Junk da ein paar Kilometer tiefer im Harz vorhat. Klaus-Peter Becker ist der Amtskollege Junks, parteilos, lange Jahre in der Wirtschaft der Region tätig, sei elf Jahren nun Bürgermeister der Stadt, die aktuell etwa 22.000 Einwohner/innen hat. Becker mag klare Worte, ein Lautsprecher ist er nicht. Beckers Weg ist der mit kleinen Schritten. Mit viel Ruhe und unbürokratischer Hilfe hat er dafür gesorgt, dass die aktuell rund 300 Flüchtlinge der Stadt dezentral in Wohnungen untergebracht sind. Die Region hat aktuell noch Menschen in einer Turnhalle untergebracht, die sollen aber bald in ein ehemaliges Blindenkurheim umziehen. „Es kommt jetzt mehr Ruhe rein“, sagt Becker, und das trotz des anhaltendes Drucks. Verwaltung und Ehrenamtliche könnten durch die Erfahrung der vergangenen Monate besser zusammenarbeiten. Ein Beispiel: Wenn die Stadt eine Wohnung für sechs Personen bezugsfähig gemacht hat, dann geht diese Meldung genau so nach Braunschweig an das Erstaufnahmelager – und es kommt dann eine Familie mit sechs Personen. „Wir können auch 2016 die dezentrale Unterbringung ermöglichen“, sagt Becker.

Becker hat 2010 einen Demografiebericht für seine Stadt erarbeitet. Darin beschreibt er ganz offen ein „Gesundschrumpfen“. Anfang Dezember arbeitet er gerade an einer neuen Fassung. Die Flüchtlinge sind darin natürlich Thema, sagt Becker. Aber es ist nur ein Aspekt von vielen. Diese Menschen könnten ja nicht die Tendenz für ganze Regionen verändern. Die Einwohnerzahl der Stadt werde zurückgehen – darauf müsse man sich einstellen. In jedem Fall aber können Flüchtlinge eine Chance für den hiesigen Arbeitsmarkt sein, wo einige renommierte Unternehmen Mitarbeiter/innen suchen – und nicht immer leicht zu einem Umzug ins Harzvorland bewegen können.

Becker hat bei der demografischen Entwicklung mehr die Region als nur seine Stadt im Blick. „Wir müssen nicht alles hier haben“, sagt er. Eine Stadt wie Osterode brauche kein Kino, wenn es nur ein paar Autominuten entfernt in Herzberg das schöne Lichtspielhaus gibt. Im Idealfall würde er sich natürlich ein Kino in der historischen Altstadt wünschen, aber Becker will Realist sein, über Stadtgrenzen hinwegsehen. Er will stattdessen an der Verbesserung der Mobilität arbeiten.

Die Kommunikation mit dem Land habe sich seit dem Regierungswechsel deutlich verbessert. Bei der alten Regierung habe es praktisch keinen Austausch gegeben, so sieht es Becker. Schlimmer, man habe ihm gar nicht zugehört. „Man kann mir hier keine Parteidünkel vorwerfen“, sagt der Parteilose, der im Stadtrat mit einer SPD-Mehrheit regiert. Besonders die 2014 neu eingerichteten Landesbeauftragt/innen für regionale Entwicklung würden den Austausch anregen. In diesen Tagen hat Becker wieder Besuch von Matthias Wunderling-Weilbier, der auch für den Harzrand zuständig ist. „Ich merke: Da hört jemand zu“, sagt Becker. Er merke auch, dass die Sorgen und Anregungen dann auch bei der Landesregierung ankommen würden. Und gerade in Flüchtlingsdingen gebe es einen guten Kontakt zum Innenministerium.

Becker blickt mit Zuversicht ins Jahr 2016. Sorge hat Becker vor den Familienzusammenführungen, die er „ethisch und moralisch absolut richtig“ findet. Aber der Nachzug aus dem Ausland und auch die Zusammenführung innerhalb Deutschlands stellen gerade seinen Ansatz der dezentralen Unterbringung vor Schwierigkeiten. „Das wird uns heftig belasten“, glaubt Becker.

Dannenberg: Im politisierten Endlagerland

Dannenberg liegt im Wendland, im äußersten Osten Niedersachsens. Wegen dieser Lage im ehemaligen „Zonenrandgebiet und wegen der dünnen Besiedlung war man für die niedersächsische Landespolitik der siebziger Jahre ein guter Standort für ein atomares Endlager – im Salzstock Gorleben wird. Das Atommülllager hat die Menschen im Wendland geprägt. „Wir haben hier in der Region sicher auch einen besonderen Politikansatz“, sagt Elke Mundhenk (Bündnis 90/Die Grünen), ehrenamtliche Bürgermeisterin von Dannenberg, nur ein paar Kilometer von Gorleben entfernt. In der Notunterkunft in der Stadt sind momentan etwa 800 Flüchtlinge untergebracht, dazu leben etwa 200 Menschen mit einem Aufenthaltstitel schon in Wohnungen. Es sind große Aufgaben für eine Stadt, die selbst nur etwa 8000 Einwohner/innen zählt. Doch das Engagement sei groß, sagt Mundhenk. Vielleicht hänge das noch mit den alten Castor-Tagen zusammen.

„Ich sehe die Menschen als Chance für Stadt und Region“, sagt Bürgermeisterin Mundhenk. Viele der Flüchtlinge seien schließlich hochmotiviert. Mundhenk kann sich vorstellen, Flüchtlinge auch in der solidarischen Landwirtschaft und anderen nachhaltigen Projekten einzubinden.

Elke Mundhenk lobt das viele Engagement, dass die Ehrenamtlichen in ihrer Stadt an den Tag legen würden. Die Politik müsse die Ehrenamtlichen entlasten. Ehrenamtliche dürften nicht das Gefühl bekommen, dass sie ausgenutzt werden. Kritik übt sie an anderer Stelle: „Die Landesaufnahmebehörde braucht wesentlich mehr Personal“, sagt Mundhenk. Es ist eine Kritik, die auch andere Stadtvertreter/innen so äußern. Denn das langsame Tempo der Behörde macht die Menschen vor Ort, die Flüchtlinge und auch die Helfer/innen mürbe. Es hapert aber auch an rein technischen Dingen: Manche Flüchtlinge müssen bei der Registrierung ihren Pass abgeben. Nicht alle bekommen dafür eine Eingangsbestätigung.

„Man müsste doch zumindest einheitlich, neue, der Situation angemessene Formulare drucken“, sagt Mundhenk. So schnell wird sich daran wohl nichts ändern. „Wir alle, Politiker/innen, Ehrenamtliche und gerade auch die Flüchtlinge, wir müssen viel Geduld haben“, glaubt Bürgermeisterin Mundhenk.

Die neue Landesregierung vertrete eine ganz andere Flüchtlingspolitik. Es gebe da viele Bemühungen, etwa, was den Unterricht von Flüchtlingskindern angeht. Aber auch, dass Gelder für Sprachmittler/innen oder Ärzt/innen zur Verfügung gestellt werden. „Wir brauchen durch die Politik klarere Informationen. Was wir nicht brauchen, ist Parteipolitik, deren Folge dann Angst und Ungewissheit vor Ort ist“, sagt Mundhenk. Der Plan, den Familiennachzug zu begrenzen, sei jedenfalls ein politisch fatales Signal gewesen. Es hätten einige Flüchtlinge in Dannenberg mit dem Suizid gedroht – so verzweifelt hätten sie ihre Lage empfunden, die sie ihre Familien zum Teil in Syrien zurückgelassen haben, in der Hoffnung, sie bald nachholen zu können – auf einer weniger riskanten Reise als ihre eigene.

Auswirkungen aus die demografische Entwicklung in der Region sind für Mundhenk noch schwer abzusehen. „Ich habe zahlenmäßig keine Vorstellung, wie viele Menschen hier in der Region bleiben werden“, sagt Dannenbergs Bürgermeisterin. „Wir müssen als Gesellschaft schauen, wie wir miteinander umgehen und wie wir die Stadt gemeinsam mit unseren neuen Mitbürger/innen lebenswert gestalten“, sagt sie. Das Wendland biete jedenfalls ein lebenswertes, familienfreundliches Umfeld.

Weitere Beiträge zur Flüchtlingspolitik in Niedersachsen finden Sie auf der Länderseite unseres Dossiers "Wie schaffen die das? Die Flüchtlingspolitik der Länder" (zur Startseite).