Familie Iklim und der Fachkräftemangel

Wachsender Fachkräftemangel ist ein Thema. Die Handwerks- sowie die drei Industrie- und Handwerkskammern reagierten schnell und durchweg positiv auf die Flüchtlingsfrage. Passiert ist aber bisher wenig.

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Eine Pinnwand im DRK-Stützpunkt Pasewalk Ost

Ueckermünde, 20. Mai 2015: Die Iklims werden bis Herbst geduldet. Beim Tischtennis-Landesausscheid haben sich Wassem und Majid für die Endrunde qualifiziert. Die Eltern denken an die Zukunft der Familie. Sie sei Lehrerin, sagt Mutter Idra (37). Vater Mahmoud (38) beschreibt seine Tätigkeit in Syrien vage mit „Import-Export“. Gefragt, ob sie sich hier ein neues Leben aufbauen wollen, reagieren sie zurückhaltend. Das liegt nicht so sehr daran, dass gerade in Ueckermünde-Ost relativ viele NPD-Wähler leben. Nein, sagt Mahmoud,  Feindseligkeiten gebe es wenige. Vielmehr wollten sie „von Anfang an nach Hamburg oder Frankfurt, wo wir Leute kennen“. Diesen Plan hege er noch immer.

Mit Informationsveranstaltungen, Leitfäden und Fragebögen „für Unternehmen zur Unterstützung von Flüchtlingen“ sensibilisieren im Herbst 2015 die Kammern ihre Mitglieder. Bis Anfang Dezember hätten erfreulich viele ihrer Kammermitglieder geantwortet, sagt Isabell Wresch, Flüchtlings- und Migrationskoordinatorin der IHK Rostock. Ein Ergebnis: Das Interesse an Flüchtlingen sei groß, gering jedoch die Erwartung, dass sie die Lösung für das Fachkräfteproblem seien. Immerhin hätten 80 Prozent erklärt, sie könnten sich „vorstellen, Flüchtlingen Praktikumsplätze anzubieten“ und diese „nach einem erfolgreichen Abschluss in ein festes Ausbildungsverhältnis zu übernehmen.“ 

Doch passiert ist bislang erst wenig. 90 Prozent der befragten Betriebe beschreiben „fehlende Sprachkenntnisse“ als größtes Hindernis, schließlich gehe es im Bauhandwerk, im Krankenhaus oder in der Gastronomie auch um das Verstehen von Arbeitsschutz und Sicherheitsregeln. „Doch warten wir mal ab, wie das 1. Quartal 2016 läuft. Jetzt stecken die meisten Flüchtlinge noch in den 8-Wochen-Kursen der Bundesagentur für Arbeit oder in den Integrationskursen.“

Ansonsten sagt die Integrationskoordinatorin über ihre Erfahrung mit dem Ankommen und Bleiben: „Die bei uns zur Schule gehen, die werden eine Weile bleiben. Das höre ich immer wieder von den Familien. Doch gut ausgebildete, allein reisende Asylbewerber sind in der Regel schnell weg aus Mecklenburg-Vorpommern, sobald sie einen Titel erhalten.“ Eine dauerhafte Belebung des ländlichen Raumes durch Flüchtlinge mit Bleibeperspektive hält Isabell Wresch für besonders illusionär. Abgesehen davon, ob die Einheimischen das überhaupt wollten: „Wenn die Leute in einem 100-Seelen-Dorf mit LPG-Plattenbau, aber ohne sonstige Infrastruktur sitzen, ist das natürlich echt schwer. Was wollen die auf Dauer da?“

„Ich will nach Hamburg“

Diese Frage hat Abdul bereits beantwortet. Abdul kommt am 29. September nach Pasewalk. Herr Schneider, ein Betreuer vom DRK, führt den 24-jährigen und vier weitere Syrer in die 6. Etage eines Plattenbaus in der Oststadt. Abdul kann als einziger Englisch sprechen, ist zugänglich und charmant. Er habe Pharmazie studiert, sagt er. Herr Schneider ist entzückt und fragt: „Kommst du mit? Ich zeige dir, wo meine Kollegen sitzen, damit ihr uns zur Not schnell finden könnt.“



Beim DRK-Stützpunkt angelangt, zeigt sich, dass Abdul  fließend Russisch spricht. Schon nimmt ihn eine aus Russland stammende Mitarbeiterin in Beschlag. Als von seinem Pharmazie-Studium berichtet, umarmt sie den Mann und ruft: „Großartig! Im Krankenhaus suchen sie dringend einen Apotheker. Da kannst du arbeiten. Soll ich einen Kontakt herstellen?“  

Der Syrer murmelt freundlich etwas von Erstmalankommen und dass sein Studium eigentlich noch gar nicht beendet habe. „Aber hier in Pasewalk gibt es viele freie Wohnungen. Wenn du in ein paar Wochen anerkannt wirst, hast du kein Problem, sofort etwas zu finden. Wir brauchen Leute wie dich!“ Der junge Mann, der bislang erkennbar ein Gespür dafür hatte, was die Deutschen hören wollen, zieht die Notbremse: „Ich will nach Hamburg.“ - Zwei Monate später ist er weg.

Politik reagiert mit Unverständnis auf die „Flucht aus MeckPomm"

Wenn Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) von dieser Mobilität der Flüchtlinge spricht, dann artikuliert er immer häufiger Enttäuschung von Verwaltungsmitarbeitern, Trägervereinen und freiwilligen Helfern. Sie würden die Schutzsuchenden „mit viel Herzblut, Mühen und manchmal auch gegen den Widerstand von Anwohnern“ willkommen heißen, nur um zu erleben, dass sie bald schon wieder eine Flucht antreten würden – diesmal weg aus MeckPomm. 

Das kann Gerd Hamm bestätigen, der für die Asylbewerber zuständiger Sozialamtsleiter im Landkreis Vorpommern-Greifswald. Dort wird man allein in diesem Jahr bis Silvester rund 3.400 Zuweisungen bekommen haben – von  Singles bis Großfamilien. Ein Drittel der Neuankömmlinge seien Kinder und Jugendliche, mindestens ein weiteres Drittel allein reisende Männern zwischen 18 und 30 Jahren. Erfahrungsgemäß werden im Lauf der Zeit rund 30 Prozent der Asylanträge abgelehnt, was bedeutet, dass die Betroffenen Deutschland verlassen müssen. Der Rest aber erhält einen Status, der sie dazu berechtigt, sich vorerst für mindestens drei Jahre an einem Ort ihrer Wahl niederzulassen. Doch aus Sicht derer, die sich mehr Arbeitskräfte, Kinder, Einwohner wünschen, gibt es ein Problem: „Es ist schon so, dass nicht mehr als 50 Prozent hier bleiben wollen. Vor allem Syrer und Afghanen bekommen schnell einen Aufenthaltsstatus und sind nach 10–12 Wochen wieder raus.“ Im besten Fall gehen sie nach Rostock oder Schwerin. So zogen 2015 rund 550 anerkannte Flüchtlinge in die Landeshauptstadt, die den Menschen bei einem Leerstand von rund 5.000 Plattenbauwohnungen rasch eine eigene Wohnung zuweisen kann. Doch die meisten wollen nach Hamburg, Frankfurt/Main, Düsseldorf.

Aktive Bleibepolitik

Das ist aus Sicht der Flüchtlinge verständlich, sagt Gerd Hamm, der auch als ehrenamtlicher Bürgermeister der 3.000-Einwohner-Gemeinde Ferdinandshof mit einem hohen Durchlauf an Asylbewerbern zu tun hat. Derweil sei auch eine weitere Seifenblase zerplatzt, die vor allem im Sommer von Politik und Medien genährt worden war. „Die Selbstauskünfte zum Stand der Ausbildung sind häufig nicht richtig erfasst. Ja, es gibt die syrischen Ingenieure und Ärzte und etliche Leute mit einer Schulbildung, die sie in die Lage versetzt, hier ein bestimmtes Niveau zu erreichen. Aber nicht von heute auf morgen. Viele andere kommen als Analphabeten und es wird ein langer Prozess, bis man von Wertschöpfung reden kann.“ 

Der Landkreis Vorpommern-Greifswald versucht dennoch, sich so attraktiv wie möglich zu machen, damit die Investition in die Flüchtlinge hier und da bleibende Früchte tragen. So erhält, wer will, einen Deutschkurses, sagt Gerd Hamm, „egal ob Status oder nicht.“ Derzeit gibt es im Kreis 24 Volkshochschul-Kurse, dazu etliche private Angebote und die Crash-Kurse der Jobcenter.

 

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