NGOs: Zwischen Zusammenarbeit, Anerkennung und Kritik

Teaser Bild Untertitel
Wartende am Busbahnhof in Belgrad

Die Flüchtlingspolitik Baden-Württembergs wird bundesweit diskutiert. Was aber sagen die in der Flüchtlingspolitik aktiven Verbände? Daniel Bax befragte drei von ihnen. Nachfolgend ihre Stellungnahmen im Wortlaut.

Herbert Heuss, Wissenschaftlicher Leiter des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg: „Abschiebung in die Perspektivlosigkeit“

Herbert Heuss

"Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma hält es für eine Katastrophe, die Menschen in eine Region abzuschieben, in der es für sie keine Perspektiven und keine Unterkunft gibt. Uns erreichen immer mehr Anfragen von Roma-Familien und Unterstützern, die von solchen Abschiebungen betroffen sind. Das betrifft auch Familien, die schon lange hier leben und deren Kinder hier aufgewachsen sind.

Drei Bundesländer - Hessen, Thüringen und Baden-Württemberg - haben Hilfsprogramme aufgelegt, um den Betroffenen die Rückkehr zu erleichtern, aber diese Programme halten nicht lange vor. Die Eingliederungshilfe bedeutet, dass für drei Monate die Miete übernommen und für maximal ein Jahr eine Arbeitsstelle mit finanziert wird.

Experten vor Ort sagen uns aber: So bald die Eingliederungshilfe wegfällt, ist auch der Arbeitsplatz weg. Und die Arbeitslosigkeit in Ländern wie Albanien ist extrem hoch, sie liegt bei jungen Erwachsenen bei 40 Prozent, und bei Roma noch erheblich darüber. De facto haben Roma in der Region keine Chance auf dem Arbeitsmarkt und damit keine Möglichkeit, eine Wohnung zu mieten, die Gesundheitsversorgung in Anspruch zu nehmen oder die Kinder angemessen auszubilden. Hinzu kommt, dass Roma, die außerhalb des Kosovo oder des West-Balkan leben, ihre Angehörigen in der Region finanziell unterstützen – ohne diese Unterstützung von außen werden noch mehr Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen.

Auch die Bundesregierung weiß, dass die abgeschobenen Flüchtlinge vom Balkan deshalb sofort versuchen werden, wieder von dort wegzukommen. Die Abschiebungen kommen daher am Ende nur den Schleppern zu Gute. Gerade aus dem Kosovo und Serbien kehren viele wieder nach Deutschland zurück, werden hier aber in die Illegalität abgedrängt. Die Politik der Bundesregierung ist hier absurd und kontraproduktiv

Zum zweiten "Asylkompromiss" gehörte ja das Versprechen, dass legale Zugangswege zu deutschen Arbeitsmarkt für Bewerber vom Balkan geschaffen werden sollen. Alle, die sich bereits in Deutschland befinden, sind von diesem Verfahren allerdings ausgeschlossen: sie müssten erst in ihre Herkunftsland zurückkehren und sich dort dafür bewerben. Roma werden davon allerdings kaum profitieren, fürchten wir. Und bis jetzt steht diese Ankündigung auch nur auf dem Papier."

Oberkirchenrat Dieter Kaufmann, Vorstandsvorsitzender des Diakonischen Werks Württemberg in Stuttgart: „Herausforderung angenommen“

Dieter Kaufmann

"Die Behörden hier strengen sich unglaublich an, die Flüchtlinge trotz der hohen Zugangszahlen alle gut unterzubringen, und schöpfen dabei alle Möglichkeiten aus. Das Land hat diese Herausforderung angenommen, nicht nur durch das Integrationsministerium, sondern auch dadurch, dass es bereits zwei Flüchtlingsgipfel abgehalten hat. Darüber hinaus gab es viele Runde Tische, und es gibt eine gute Zusammenarbeit mit den Arbeitgebern, um Asylbewerber in Ausbildung und Arbeit zu bringen.

Diakonische Mitarbeitende unterstützen Flüchtlinge im Rahmen der Verfahrensberatung und in der Sozialberatung. Unsere Dienste helfen dabei auch den yezidischen Frauen, die im Rahmen eines Sonderkontingents in Baden-Württemberg aufgenommen wurden. Über unsere Koordinationsstellen in den Kirchenbezirken initiieren wir neue Flüchtlingsarbeitskreise und unterstützen die Arbeit von über 10.000 Ehrenamtlichen. Unsere Schulungsangebote bieten diesen Menschen eine gute Basis für ihr bewundernswertes Engagement. Bei all diesen Aktivitäten arbeiten wir eng mit Kommunen und Behörden des Landes zusammen.

Wir sehen das Problem, dass es in Ländern wie dem Kosovo und Serbien kaum Arbeit gibt. Wir begrüßen daher den Versuch, legale Wege zur ganz normalen Arbeitsmigration zu eröffnen. Im September und Oktober sind über 30 junge Menschen aus dem Kosovo gekommen, um eine Ausbildung zum Altenpfleger zu beginnen. Sie alle haben sich zuvor neun Monate lang  vorbereitet und Kurse in deutscher Sprache und Kultur belegt, an einem kleinen Institut, das wir unterstützen. Europa-Minister Peter Friedrich (SPD) würde dieses Projekt gerne verzehnfachen. 

In Serbien beteiligen wir uns im Rahmen der Kirchlichen Aktion „Hoffnung für Osteuropa“ am Projekt einer ökumenischen Hilfsorganisation, die Rückkehrern hilft, damit sie dort wieder Fuß fassen und Roma-Familien ihre eigene Existenz sichern können. In Novi Sad stellt sie Werkzeuge und Baumaterialien zur Verfügung, damit die Menschen, die dort in Roma-Siedlungen leben, Sanitärräume an ihre Hütten anbauen können.

Abschiebungen sind immer die Ultima Ratio. Früher gab es im Winter noch einen Abschiebestopp – nun nicht mehr, das ist zweifellos eine Härte. Da muss noch mehr in die Beratung investiert werden. In schwierigen Fällen wie bei Familien, die lange in Baden-Württemberg leben und deren Kinder hier aufgewachsen sind, versuchen wir über die Härtefallkommission, andere Lösungen zu finden. Aufgrund der langjährigen guten Zusammenarbeit werden die Empfehlungen der Kommission von der Landespolitik meist umgesetzt.

Wir müssen aber aufpassen, dass wir aufgrund der großen Zahl an Flüchtlingen, die zu uns kommen, nicht unsere Standards über Bord werfen - zum Beispiel die Standards der Jugendhilfe, die wir für unbegleitete minderjährige Ausländer etabliert haben. Was uns bei allem, was die Landesregierung tut, sehr wichtig ist, ist das Subsidiaritätsprinzip: dass etwa bei Integrationsprojekten nicht nur die Kommunen, sondern auch die Kirchengemeinden und die diakonische Dienste befähigt werden, ihren Beitrag zu leisten."

Angelika von Loeper, Flüchtlingsrat Baden-Württemberg: „Ehrenamt unterstützt“

Angelika von Loeper

"Die Landesregierung bemüht sich, das ehrenamtliche Engagement zu unterstützen. Es war wichtig und sinnvoll, das zu tun, denn die ehrenamtlichen Helfer haben in den letzten Wochen und Monaten viel aufgefangen, wo es an staatlichen Strukturen fehlte. Wie gut die Zusammenarbeit vor Ort gelingt, hängt von den lokalen Gegebenheiten ab. Wenn die Flüchtlinge aus den Erstaufnahmeeinrichtungen verteilt wurden, sind die Landkreise zuständig. Da sind die Strukturen und die politischen Verhältnisse sehr unterschiedlich. Teilweise klappt das sehr gut, teils lässt das zu wünschen übrig.

Aber auch in den Erstaufnahmeeinrichtungen ist das nicht optimal organisiert. Die Aufnahmekapazitäten wurden schnell hochgefahren, in Heidelberg sechs Registrierstraßen eingerichtet. Nach den Plänen der Landesregierung sollen dann die Flüchtlinge mit Bleibeperspektive möglichst rasch auf die Landkreise verteilt werden, und die anderen bis zu sechs Monate oder länger in den Erstaufnahmeeinrichtungen verbleiben. Das würde bedeuten, dass dort nur noch die Flüchtlinge bleiben, die keine Chance auf einen Aufenthalt haben. Diese Aufteilung in Flüchtlinge mit und ohne Bleibeperspektive halten wir für äußerst problematisch. Das birgt Sprengstoff, nach innen und außen.

Das Sonderwohnungsbauprogramm war wichtig als Signal, um die Kommunen und Landkreise dazu zu bringen, entsprechende Maßnahmen umzusetzen. Aber das dauert, bis Resultate zu sehen sind.

Bedauerlich ist aber, dass Baden-Württemberg weitgehend dem restriktiven Kurs der Bundesregierung zu folgen scheint, statt sich dem  konsequent entgegen zu stellen. Ich hätte mir gewünscht, dass man sich nicht durch die große Zahl der Flüchtlinge beirren lässt und seinen Prinzipien treu bleibt. Statt dessen trägt man die restriktiven Gesetzesvorhaben mit, die bundespolitisch beschlossen wurden, und setzt verstärkt die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen wie Abschiebungen um. Das führt unter anderem dazu, dass Menschen, die mit der neuen Bleiberechtsregelung eigentlich eine Chance bekommen sollten, jetzt verstärkt von Abschiebung bedroht sind."

Weitere Beiträge zur Flüchtlingspolitik in Baden-Württemberg finden Sie auf der Länderseite unseres Dossiers "Wie schaffen die das? Die Flüchtlingspolitik der Länder" (zur Startseite).