Alte und neue Märkte für Kompensations-gutschriften

Kompensationsgutschriften legalisieren die Überschreitung von Grenzwerten und die Zerstörung von geschützten Feuchtgebieten. Den Handel mit ihnen haben auch Wirtschaftsbranchen für sich entdeckt, die große Mengen an Treibhausgasen freisetzen.

Eine Luftaufnahme zeigt den Kontrast zwischen Wald und Landwirtschaft in der Nähe des Rio Branco, Acre, Brasilien.
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Abholzung in der Nähe des Rio Branco, Acre, Brasilien.

Kompensationsgutschriften werden in zwei unterschiedlichen Kontexten gehandelt. Zum einen legalisieren Kompensationsgutschriften die Überschreitung von verbindlichen, ordnungsrechtlichen Grenzwerten, wie z. B. beim Handel mit Emissionsgutschriften aus sogenannten Clean Development Mechanism-Projekten im Rahmen des Kyoto-Protokolls oder des EU-Emissionshandelssystems. In den USA legalisiert der Handel mit Biodiversitätsgutschriften (wetlands credits) die Zerstörung von gesetzlich geschützten Feuchtgebieten.

Ein Handel mit Kompensationsgutschriften entstand aber auch in Bereichen, in denen keine gesetzlichen Grenzwerte Emissionen oder Zerstörung von Natur begrenzen. Ziel dieser sogenannten freiwilligen Kompensationsmärkte ist es vielmehr, Naturzerstörung oder Verschmutzung zu kompensieren, die ein Reputationsrisiko für die Verursacher/innen darstellen. So dienen Emissionsgutschriften beispielsweise auch bei unternehmerischen, individuellen oder behördlichen Selbstverpflichtungen oder bei der Überschreitung moralisch oder gesellschaftlich normierter Grenzwerte als Nachweis für Klimaneutralität. Das Gros der Kompensationsgutschriften aus Waldprojekten und Landnutzung wird auf diesen freiwilligen Emissionsmärkten gehandelt, da die meisten Märkte, die Kompensationsgutschriften für rechtlich verbindliche Grenzwerte handeln, Gutschriften z. B. aus REDD+-Projekten nicht anerkennen.

Handel mit Emissionsgutschriften im Kontext von rechtlich bindenden Grenzwerten

Das Kyoto-Protokoll erlaubt Ländern und Unternehmen, einen Teil ihrer Verpflichtung zur Emissionsminderung durch den Kauf von Emissionsgutschriften auszugleichen. Der Mechanismus für umweltgerechte Entwicklung (Clean Development Mechanism – CDM) ist eines von zwei Instrumenten des Kyoto-Protokolls, die Emissionsgutschriften vermarkten. CDM-Projekte bieten Emissionsgutschriften aus Maßnahmen in Ländern des globalen Südens an. Die Menge der Emissionsgutschriften – im CDM als Certified Emission Reductions (CER) bezeichnet – ergibt sich aus der Höhe der potenziell angeblich zusätzlich eingesparten Treibhausgasemissionen. Eine Emissionsgutschrift entspricht einer Tonne CO2.

In umfangreichen Prüfungs- und Zertifizierungsprozessen wird bewertet, ob Kompensationsprojekte, die eine Registrierung als CDM-Projekt beantragen, die Zielsetzung des CDM erfüllen. Um CDM-Gutschriften verkaufen zu können, müssen die Projekte nachweisen, dass die Emissionsminderung nicht ohne die zusätzlichen Finanzmittel des Kompensationsprojekts erreicht worden wäre (Zusätzlichkeit) und dass das Projekt zur nachhaltigen Entwicklung beiträgt.

Clean Development Mechanism: Zertifizierte schmutzige Entwicklung

Zahlreiche Einzelstudien bestätigen: Emissionsgutschriften aus CDM-Projekten repräsentieren häufig schmutzige Entwicklung und heiße Luft. Bei wenigstens 70 Prozent der Emissionsgutschriften aus CDM-Projekten ist die Zusätzlichkeit der Emissionsminderung unwahrscheinlich. Ihre Anrechnung auf Emissionsminderungsziele des Kyoto-Protokolls und des EU-Emissionshandels hat dazu geführt, dass Unternehmen zwar am Produktionsstandort Treibhausgasemissionen über den Grenzwert hinaus freisetzen konnten, das CDM-Projekt aber keine zusätzlichen Emissionen reduzierte, die diese zusätzliche Freisetzung hätten kompensieren können.

Obwohl jedes CDM-Projekt umfangreiche externe Bewertungen von Dokumenten und Besuche von Zertifizierungsstellen im Projektgebiet nachweisen muss, sind für eine erschreckend hohe Zahl von CDM-Projekten Menschenrechtsverletzungen, Vertreibungen und/oder Konflikte um Zugang zu Land, das ein CDM-Projekt für sich beansprucht, dokumentiert.

So verkaufte das brasilianische Unternehmen Vallourec (ehem. Mannesmann) Emissionsgutschriften aus einem CDM-Projekt, obwohl auf den Eukalyptusplantagen des Projektes ein Kleinbauer vom privaten Sicherheitsdienst des Unternehmens ermordet wurde. Die Eukalyptusplantagen liefern die Holzkohle, die im Vergleich zur Verbrennung von Kohle eine angeblich emissionsschonendere Eisenverhüttung darstellt, und dem Unternehmen erlaubt, Emissionsgutschriften zu verkaufen.

Für viele CDM-Projekte ist zudem belegt, dass sie Umweltschäden in der Projektregion verursachen, etwa im Fall von Gas- oder moderneren Kohlekraftwerken, die ebenfalls die niedrigen CDM-Anforderungen an nachhaltige Entwicklung erfüllten. Die EU hat aus den vielen schlechten Erfahrungen mit CDM-Kompensationsprojekten Konsequenzen gezogen. Bis 2020 sind im EU-Emissionshandel neue CDM-Gutschriften nur noch aus Projekten zulässig, die in den am wenigsten entwickelten Ländern (Least Developed Countries) umgesetzt werden; ab 2020 sind gar keine internationalen Emissionsgutschriften mehr erlaubt.

Im UN-Klimaabkommen von Paris wurde ein neuer Mechanismus für den internationalen Handel mit Emissionsgutschriften ("internationally transferred mitigation outcomes") vereinbart. Grundsätzlich lässt dieser neue Mechanismus Emissionsminderungsprojekte aus dem Landwirtschaftssektor zu; inwieweit diese Option jedoch auch Anwendung findet, wird die Konkretisierung der Umsetzung zeigen.

Kompensationsmärkte außerhalb rechtlich bindender Grenzwerte

Der Handel mit Kompensationsgutschriften etabliert sich seit der Jahrtausendwende jedoch nicht nur als vermeintliches Klimaschutzinstrument, sondern auch als Mittel gegen den Verlust biologischer Vielfalt oder gegen illegale Waldzerstörung. In Brasilien können Landbesitzer statt der gesetzlich vorgeschriebenen Renaturierung illegal gerodeter Flächen Renaturierungsgutschriften an einer „Grünen Börse“ kaufen – und die illegal gerodeten Flächen weiterhin für die lukrative Rinderzucht oder den Sojaanbau nutzen.

Die International Finance Corporation (IFC) ist Teil der Weltbankgruppe und finanziert Privatsektorprojekte in Ländern des globalen Südens. Ebenfalls seit 2012 verlangt die IFC, dass Konzerne einen Plan zur Kompensation von Biodiversität (Biodiversity offset plan) vorlegen, falls die IFC-Finanzierung zur Zerstörung „kritischen Lebensraums“ beiträgt. Seitdem engagieren sich Bergbaukonzerne insbesondere im globalen Süden vermehrt in Projekten, die Biodiversitätsgutschriften vermarkten, und mit denen die Konzerne den Verlust von biologischer Vielfalt innerhalb der eigenen Bergbaukonzession ausgleichen können.

Bereits in den 1970er Jahren führte die Regierung der USA unter Ronald Reagan den Handel mit Gutschriften zur Kompensation für zerstörte Feuchtgebiete ein. In Deutschland sieht die im Bundesnaturschutzgesetz verankerte Eingriffs-Ausgleichsregelung seit 1976 u. a. den Ersatz von Biodiversitätsverlust durch Kompensationsmaßnahmen vor. In der ursprünglichen Eingriffs-Ausgleichsregelung hatte noch der Ausgleich in unmittelbarer Nähe des Eingriffs und in Verantwortung des Verursachers Vorrang vor Ersatzmaßnahmen anderenorts. In den bisherigen drei Revisionen wurden die Regelungen zu Ersatzmaßnahmen und -zahlungen dann immer weiter erleichtert. Heute bieten Flächenagenturen Ausgleichsflächen und „Ökopunkte“ an und übernehmen die Verwaltung der Flächen für die Verursacher des Eingriffs, was weitgehend dem Ansatz des Handels mit Gutschriften für die Zerstörung von biologischer Vielfalt entspricht.

In jüngerer Zeit entdecken auch drei Wirtschaftsbranchen, die große Mengen an Treibhausgasen freisetzen, den Kompensationshandel. Global agierende Nahrungsmittelkonzerne, wie Unilever, Mars, Nestlé, Wilmar, Bunge und Monsanto, nutzen den Handel mit Kompensationsgutschriften, um die Kompensation von Treibhausgasen und Waldzerstörung miteinander zu verbinden und so ihre Produkte trotz steigender Emissionen und anhaltender Waldzerstörung als klimaneutral und urwaldfrei vermarkten zu können.

Die Internationale Luftfahrtbehörde ICAO verspricht, mit Hilfe von Emissionsgutschriften für Klimagase ab 2020 klimaneutral zu wachsen. Bergbaukonzerne – allen voran Rio Tinto – versprechen, den Biodiversitätsverlust aufgrund des großflächigen Abbaus von Kohle, Gold, Titan, Kupfer, etc. durch den Handel mit Biodiversitätsgutschriften „netto-positiv“ für die biologische Vielfalt zu gestalten. Bei allen drei Initiativen spielen die Weltbank und internationale Naturschutzorganisationen, wie IUCN, The Nature Conservancy und Conservation International, eine zentrale Rolle. Sie leisten (und finanzieren) Pionierarbeit bei der Entwicklung von Methoden und Standards und sichern Glaubwürdigkeit, die diese Initiativen ohne zivilgesellschaftliche Beteiligung nicht erlangen könnten.

„Netto-Null“-Entwaldung: Der Urwald in „urwaldfreien“ Produkten

Das Global Landscapes Forum des renommierten CIFOR-Instituts hat sich seit 2007 als gutbesuchte Veranstaltung am Wochenende zwischen den zweiwöchigen UN-Klimaverhandlungen etabliert. Nahrungsmittelkonzerne, Zivilgesellschaft und Weltbank diskutieren neue Ansätze, um Waldschutz, Landwirtschaft und Klimaschutz miteinander zu verbinden, und kommentieren die im Rahmen der Klimaverhandlungen diskutierten Vorschläge. Regierungen und Nahrungsmittelkonzerne nutzen das Forum, um neuen Initiativen vorzustellen. Der Nahrungsmittelkonzern Danone kündigte zum Beispiel im Dezember 2015 in Paris an, Emissionen in der Produktherstellung bis 2020 netto auf Null zu reduzieren.

Mit der Ankündigung setzt sich ein Trend fort, der mit der Verabschiedung der „New York Declaration on Forests“ 2014 seinen Anfang nahm: Immer mehr globale Nahrungsmittelkonzerne geben Selbstverpflichtungen ab, in denen sie bekunden, ab 2020 für die Herstellung ihrer Produkte keine Urwälder mehr roden zu wollen. Doch während fettgedruckte Überschriften „Null-Entwaldung“ ankündigen, stellen sich die Selbstverpflichtungen bei genauerem Hinsehen als Mogelpackung heraus. Statt „Null-Entwaldung“ heißt es dann, man wolle netto die Entwaldung stoppen.

Danone, Unilever, Monsanto, M&S, Cargill und andere Mitglieder des Consumer Goods Forum haben solche Netto-Null-Entwaldungserklärungen abgegeben. Netto-Null ist aber nicht Null. Für ihre Produkte werden die Konzerne auch weiterhin Wälder roden lassen und die Existenz kleinbäuerlicher Landwirtschaft bedrohen, nur dass sie dies nun unter dem grünen Deckmantel „Netto-Null-Entwaldung“ tun. Die Netto-Null soll dabei unter anderem durch den Kauf von REDD+-Gutschriften erreicht werden.

Diese Selbstverpflichtungen großer Nahrungsmittelkonzerne, die mit ihren Produktketten verbundene Entwaldung auf Netto-Null zu reduzieren, verbindet REDD+ immer stärker mit der Landwirtschaft. Initiativen wie die Global Alliance for Climate-Smart Agriculture, die Climate and Clean Air Coalition oder die Joint Programming Initiative on Agriculture and Climate Change verstärken diese Verbindung durch die Entwicklung von Methoden, die sowohl in der (kleinbäuerlichen) Landwirtschaft als auch in REDD+-Maßnahmen anwendbar sind.

Sie binden internationale Organisationen wie die FAO und internationale Naturschutzorganisationen in die Weiterentwicklung des Ansatzes ein. So engagiert sich etwa die US-amerikanische Organisation Environmental Defense Fund im Rahmen der Global Alliance for Climate-Smart Agriculture gemeinsam mit Konzernen der Agrar- und Nahrungsmittelindustrie für die Einbindung von (kleinbäuerlicher) Landwirtschaft in Kohlenstoffmärkte.

In Brasilien erlaubt das 2012 revidierte Waldgesetz Waldbesitzern den Kauf von Kompensationsgutschriften als Alternative zur Renaturierung illegal gerodeter Wälder. Die „Grüne Börse Rio“ fungiert als Handelsplattform, die Käufer und Verkäufer miteinander in Verbindung bringt und die Transaktion der Renaturierungsgutschriften abwickelt. Das Resultat: Mehr Waldverlust, denn die Kompensationsgutschriften erlauben Rinderzüchtern und Sojaproduzenten, dort, wo Waldzerstörung über gesetzliche Grenzen hinaus die größten Gewinne verspricht, weiter zu produzieren statt ebenjene illegal gerodeten lukrativen Standorte zu renaturieren.

Die Mär vom „kohlenstoffneutralen Wachstum“ im Flugverkehr

Auf rund 3,3 Milliarden Flugreisen summiert sich bereits heute der jährliche Flugverkehr, und die Internationale Luftfahrtbehörde ICAO erwartet eine Verdopplung des Flugverkehrs zwischen 2020 und 2050. Die Luftfahrtbranche ist der am schnellsten wachsende Treibhausgasemittent weltweit – und dennoch fehlt für Treibhausgasemissionen aus dem internationalen Luftverkehr im UN-Klimaabkommen von Paris wie schon im Kyoto-Protokoll eine Obergrenze. Die ICAO diskutiert nun ein Konzept für „kohlenstoffneutrales Wachstum“ des Flugverkehrs ab 2020. Die zentralen Elemente des Konzepts sind eine Steigerung der Treibstoffeffizienz von 1,5 Prozent pro Jahr bis 2020, die Halbierung der Emissionen bis 2050 auf die Hälfte des Ausstoßes im Referenzjahr 2020 sowie kein weiterer Netto-Anstieg der Emissionen ab 2020.

Der Internationale Luftfahrtverband IATA, auf dessen Vorschlag das ICAO-Konzept zurückgeht, beauftragte Bloomberg New Energy Finance (BNEF) und die US-amerikanische Naturschutzorganisation Environmental Defense Fund, Kosten und Machbarkeit des Konzepts zu untersuchen. Die Studie kommt zum Schluss, dass technische Innovationen, Energieeffizienz und Einsatz von alternativen Treibstoffen nicht ausreichen werden, das Ziel des kohlenstoffneutralen Wachstums zu erreichen, und empfiehlt die Einbeziehung des Flugverkehrs in den Emissionshandel. Das Angebot an Emissionsgutschriften bis 2020 sei ausreichend, um bis 2050 zwischen 30 und 50 Prozent der Emissionen aus dem Flugverkehr zu kompensieren. Laut BNEF-Studie lägen die Kosten bei etwa 4,6 Milliarden US-Dollar jährlich – ein Preisaufschlag von 1,5 bis zwei US-Dollar für einen Flug von Paris nach New York.

Im September 2016 steht die Verabschiedung der „globalen marktbasierten Maßnahmen“ auf der Tagesordnung der 39. ICAO-Hauptversammlung. Das Maßnahmenpaket soll helfen, das Ziel „kohlenstoffneutrales Wachstum ab 2020“ im Flugverkehr zu erreichen. Die im Vorfeld erarbeiteten Vorschläge sehen vor, mehr als 20 Prozent der Gesamtemissionen aus dem Flugverkehr durch den Kauf von Emissionsgutschriften zu kompensieren. Internationale Naturschutzorganisationen wie der Environmental Defense Fund, The Nature Conservancy, Conservation International und IUCN befürworten die Verwendung von Emissionsgutschriften aus REDD+-Projekten, während eine breite Allianz von über 80 Organisationen die Verwendung von Emissionsgutschriften als Klimaschwindel anprangert und insbesondere vor den Gefahren von REDD+-Gutschriften für die kleinbäuerliche Landwirtschaft und für Waldvölker warnt.

Bergbau verspricht Zerstörung mit „Netto-Plus“ für Biodiversität

Im Frühjahr 2015 stellte die Weltbank eine Länderstudie für Liberia vor, die vorschlägt, die Unterhaltung von Nationalparks durch Biodiversitätskompensationszahlungen von Bergbaukonzernen zu finanzieren. Der Bericht skizziert ein nationales Biodiversitätskompensationssystem, welches helfen soll, die negativen Auswirkungen von Bergbau für biologische Vielfalt und „Ökosystemleistungen“ zu minimieren und beschreibt Biodiversitätsgutschriften als „eine Gelegenheit für den Privatsektor, ein unterfinanziertes Schutzgebietsnetzwerk zu unterstützen.“ Die Studie erwähnt nicht, dass die von der Weltbank propagierte Ausweitung von Bergbaukonzessionen Regionen mit großer biologischer Vielfalt zerstören würde. 

Die International Finance Corporation (IFC) finanziert als Teil der Weltbankgruppe Projekte im Privatsektor. Seit 2012 bewilligt die IFC Kredite auch dann, wenn die IFC-Finanzierung zur Zerstörung kritischen Lebensraums beiträgt – solange ein Plan zur Kompensation des Biodiversitätsverlusts vorliegt. Seitdem engagieren sich Bergbaukonzerne vermehrt in Projekten, die Biodiversitätsgutschriften vermarkten. Dies erhöht auch das Risiko einer doppelten Landnahme: Nicht nur die lokale Bevölkerung im Bergbaugebiet verliert das von ihr genutzte Land. Auch die Gemeinden im Kompensationsgebiet, in dem Kompensationsmaßnahmen den Biodiversitätsverlust innerhalb der Bergbaukonzession ausgleichen sollen, müssen damit rechnen, dass ihr Zugang zu Land eingeschränkt wird.

Bergbau in Madagaskar: Wie aus der Zerstörung von 1.600 Hektar eines artenreichen Küstenwaldes ein „netto-positiver Eingriff“ für Biodiversität wird

Im Südosten von Madagaskar baut Rio Tinto, einer der weltweit größten Bergbaukonzerne, Titaneisenerz ab. Durch den Abbau werden etwa 1.600 Hektar Küstenwald zerstört. Dieser Wald zeichnet sich durch seinen besonderen Artenreichtum aus und bietet Lebensraum für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten, die nur in diesen Küstenwäldern von Madagaskar vorkommen. Um eine Finanzierung durch internationale Geldgeber wie dem IFC zu ermöglichen und um Proteste von internationalen Naturschutzorganisationen gegen die Zerstörung des seltenen Küstenwaldes zu entkräften, legte Rio Tinto in einem Biodiversitätskompensationsplan dar, wie der Küstenregenwald ersetzt werden soll, der beim Abbau von Titaneisenerz zerstört wird.

Botanische Sammlungen wie Missouri Botanical Gardens aus den USA und die Naturschutzorganisation BirdLife International identifizierten gemeinsam mit Rio Tinto mehrere Waldgebiete in der Region, die eine ähnliche Artenzusammensetzung wie der Küstenwald innerhalb der Bergbaukonzession aufweisen und die angeblich durch lokale Nutzung (kleinbäuerliche Landwirtschaft, Wanderfeldbau) gefährdet sind. Ein Teil dieser Wälder wurde zum Schutzgebiet erklärt und dient Rio Tinto als Kompensation für die zerstörten Küstenwälder. Die Kompensationsflächen sind bis zu 250 Kilometer – sechs bis zehn Autostunden – vom Titanabbaugebiet entfernt. In den zur Biodiversitätskompensation ausgewiesenen Waldgebieten ist der lokalen Bevölkerung seitdem jegliche Nutzung untersagt, ohne dass ihr Alternativen zur Grundnahrungsmittelproduktion angeboten wurden.

Solche Restriktionen, im globalen Süden betreffen sie in der Regel kleinbäuerliche Landnutzung, sind in der Logik der Kompensation unerlässlich, da durch sie die proklamierte Gefährdung der Kompensationswälder durch lokale Nutzung abgewendet wird. Rio Tinto kann im vorliegenden Fall also argumentierten, dass ohne die Intervention des Kompensationsprojekts die Wälder durch lokale Nutzung zerstört worden wären, die Kompensationszahlung durch Rio Tinto also zusätzlich Wald schützt. Netto, so der Bergbaukonzern, verursache der Abbau von Titaneisenerz also keinen Verlust an biologischer Vielfalt – obwohl für den Abbau etwa 1.600 Hektar eines außergewöhnlich artenreichen und seltenen Küstenregenwaldes sowie die ökonomischen, sozialen, kulturellen und spirituellen Bindungen der lokalen Bevölkerung an diesen Wald unwiederbringlich zerstört werden.

Dieser Beitrag ist Teil unseres Dossiers "Neue Ökonomie der Natur".

Zum Weiterlesen:

  1. WRM und Re:Common (2016): Rio Tinto in Madagascar: A mine destroying the unique biodiversity of the littoral zone of Fort Dauphin.
  2. Hintergrundinformationen NRO-Koalition gegen Klimaschwindel der UN Luftfahrtbehörde ICAO.