Besser, anders, und vor allem weniger

Eine Couch auf einer grünen Wiese
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Nicht alles kann privates Eigentum sein - der Kapitalismus denkt Gemeingüter nicht mit

Der Kapitalismus liegt nicht in der Natur des Menschen. Wir müssen Alternativen erkunden, die ein besseres Leben für alle ermöglichen können, sagt Barbara Unmüßig im Interview mit dem Magazin Agora 42 zum Thema "Kapitalismus auf der Couch".

agora42-Magazin:  Welchen Aspekt des Kapitalismus finden Sie am interessantesten und am ehesten zu bedenken?

Barbara Unmüßig: Der faszinierendste Aspekt ist sicherlich die schöpferische Kraft, die stetige Neuerfindung und Anpassung. Sie geht aber einher mit Zerstörung und Ausbeutung von Menschen und Natur. Er bringt leider –ungezähmt –  massive Ungleichheit hervor und macht unsere natürlichen Lebensgrundlagen kaputt und heizt das Treibhaus. Schumpeter hat am besten diese schöpferische Zerstörung beschrieben, die der Kapitalismus braucht, um Neues aus Zerstörtem hervorzubringen. Das hat leider sehr viel Unrecht und Leid für Menschen gebracht. Zu Recht wird diese Variante als Raubtierkapitalismus bezeichnet und Menschen und ihre sozialen Kämpfe versuchen immer wieder die sozialen Folgen der Ausbeutung und der zerstörerischen Kraft einzudämmen oder zu zähmen.

Was der Kapitalismus, sein Zwang zur Expansion mit der Natur, mit dem Ökosystem und dem Planeten als Ganzes macht, nimmt heute irreversible Züge an. Das machen wir uns immer noch viel zu wenig bewusst. Und wieder stellt sich hier die Hoffnung ein, dass selbst diese brutale Zerstörung mit technologischer Innovation und mit noch mehr Ökonomisierung der Natur wieder zu reparieren sei. Eine sehr riskante Wette auf die Zukunft. Ein wesentliches Element kapitalistischer Produktion und Akkumulation ist es, mehr Eigentum – oder mehr Kapital – zu erwirtschaften. Ob wir es wollen oder nicht, nicht alles kann privates Eigentum sein – die Luft zum Atmen, Wasser, Artenvielfalt, z. B., werden von allen gebraucht und genutzt. Kapitalismus denkt diese Gemeingüter nicht mit.

Warum konnten sich die Menschen so schnell und unbemerkt für das kapitalistische Denken begeistern? Entspricht der Kapitalismus unserer Natur?

Es gab und gibt doch Alternativen zum Kapitalismus, die von einigen Völkern auch heute noch gelebt werden. Der Kapitalismus hat alte, feudale Machtstrukturen abgelöst. Und er hat nicht unbemerkt die Welt erobert. Es gab immer Widerstand gegen ihn aus ganz unterschiedlichen Richtungen. Einer seiner Erfolge: Auch, wenn es ein langer und hart erkämpfter Weg und mit Rückschlägen verbunden war, hat er in den Kernländern des Kapitalismus Gesellschaften demokratisiert. Und er hat mit der „scharfen Waffe” der günstigen Preise (Karl Marx) ein Wohlstandsversprechen für breitere Bevölkerungsschichten eingelöst. Das macht ihn heute ja gerade so attraktiv für die Gesellschaften im globalen Süden, die teilhaben wollen an der Welt der bunten Waren. Der autokratische Typus von Kapitalismus bezieht in Ländern wie China ja gerade hieraus wesentlich seine Legitimation.

Vergessen wir jedoch nicht: Kapitalismus ist ein Gesellschaftsverhältnis von mehreren möglichen und ein relativ neues in der Geschichte der Menschheit. Ob und wie wir ihn transformieren können angesichts der ökologischen Großkrisen und der sozialen Ungleichheit und dabei demokratische Errungenschaften und Menschenrechte erhalten können, ist die große Frage des 21. Jahrhunderts. Zum Glück haben das schon viele Menschen begriffen und arbeiten an Alternativen. Der Kapitalismus ist also meines Erachtens nicht unbedingt die logische natürliche Konsequenz für unsere Gesellschaften und er liegt nicht in der Natur des Menschen.

In unserer aktuellen Ausgabe liegt der Kapitalismus auf der Couch. Er ist ausgebrannt, kaum jemand glaubt noch ernsthaft an ihn, immer häufiger fragt man sich “wozu”, Krisenstimmung macht sich breit. Ist die Blütezeit des Kapitalismus vorüber? Und wie geht es weiter?

Es herrscht nicht nur Krisenstimmung, sondern wir stehen realen multiplen globalen Krisen gegenüber: die wachsende Ungleichheit, der Verlust der Biodiversität, der Klimawandel, globale Migrations- und Flüchtlingsströme, der immer stärkere Gegenwind gegen Demokratie und ihre Werte. All das nagt vor allem am Wohlstands- und Glücksversprechen des Kapitalismus. Unser Wirtschaftsmodell, unsere Produktions- und Konsummuster, und die immer weiter voranschreitende Globalisierung mit all ihren Vorteilen, produziert auch viele Verlierer und Abgehängte – Mensch wie Natur. Es gibt eine globale Mittelklasse, die die Kosten ihres Konsum- und Produktionsmodells externalisiert. Soziale Ungerechtigkeit und ökologische Zerstörung sind die Folgen.

Unser wachstumsgetriebenes „weiter so“, diese Jagd nach dem immer mehr, immer besser, immer größer, immer schneller ist nicht nachhaltig und nicht vereinbar mit den natürlichen Grenzen unseres Planeten. Diese haben wir jetzt schon überschritten und stehen gleichzeitig einem gravierenden Verteilungs- und Gerechtigkeitsproblem auf der Welt gegenüber. Wir müssen uns endlich von unserer Abhängigkeit vom Wachstum um jeden Preis befreien, uns vom fossilen Zeitalter verabschieden, und Alternativen erkunden, die ein besseres Leben für alle ermöglichen könnten. Dazu müssen wir Fragen rund um unser Wirtschaftsmodell und wie es weiter gehen kann mehr denn je repolitisieren und Antworten demokratisch aushandeln.

Ist eine nachhaltige Entwicklung im Kapitalismus denkbar? Wie können Bedürfnisse zukünftiger Generationen, in einer Welt endlicher Ressourcen, gesichert werden?

Wir haben ja in den letzten Jahren erlebt, wie der Mainstream von Weltbank bis Bundesregierung uns zu versprechen versucht, dass unser Kapitalismus „ergrünen“ kann, und so zukunftsfähig und nachhaltig werden kann. So sehr ich mir eine Versöhnung von Ökonomie und Ökologie wünschte: ich glaube sie ist eine Illusion, solange wir nicht radikal Emissionen aller Art unterlassen und Ressourcenverbrauch massiv reduzieren. Ein solches Versprechen kann nur machen, wer bewusst Komplexität reduziert, stark an Wunder des Marktes und der technologischen Innovation glaubt und gleichzeitig reale Machtstrukturen im ökonomischen wie politischen Kontext ignoriert und nicht anpacken will.

Wir dürfen uns nicht täuschen lassen von der Annahme, dass ein ergrünter Kapitalismus, der unsere aktuellen Produktions- und Konsummuster nicht in Frage stellt, die notwendige Nachhaltigkeit gewährleisten kann, die wir unserem Planeten und nachkommenden Generationen schuldig sind. Der Ausstieg aus dem fossilen und finanzmarktgetriebenen Kapitalismus selbst muss die Priorität sein. Besser, anders, und vor allem weniger – das Überwinden von unsinnigen Produktions- und Konsummustern. Dieser Dreiklang ist mein Motto für die praktische und theoretische Suche nach Neuem.

Dieses Interview ist erstmals auf agora42.de anlässlich der aktuellen Ausgabe “Der Kapitalismus auf der Couch" erschienen.