Zivilgesellschaft weltweit unter Druck

Hintergrund

Im Mai treffen sich Aktivist*innen, Feminist*innen, Wissenschaftler*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen aus etwa 35 Ländern und allen Kontinenten bei der Global Assembly in Frankfurt am Main, um ihre Ideen und Strategien für eine gerechtere und menschenwürdigere Welt zu diskutieren.

Frankfurter Paulskirche
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Frankfurter Paulskirche. Veranstaltungsort der Global Assembly.

Viele kommen aus Ländern, in denen es absolut keine Selbstverständlichkeit ist, sich frei zu äußern oder zu versammeln. Sie kennen Repression und Einschüchterungskampagnen und müssen täglich damit rechnen, im Gefängnis zu landen oder getötet zu werden, weil sie sich für soziale Umverteilung, freie und faire Wahlen oder Zugang zu Land einsetzen. Manche kommen aus Ländern, in denen die Machthabenden nicht für die Bevölkerung, sondern gegen sie regieren, aus Ländern im Krieg oder unter Willkürherrschaft. Ihre Rechte, ihr Wunsch nach demokratischer Teilhabe, Freiheit, Gerechtigkeit und Unversehrtheit werden mit Füßen getreten. Ihr Mut, dafür zu kämpfen und einzustehen, braucht unsere Solidarität.

Grundrechte weltweit im Rückwärtstrend

Es ist nichts Neues, dass kritische und emanzipatorische Akteur*innen der Zivilgesellschaft eingeschüchtert, hinter Gitter gebracht, ins Exil getrieben oder getötet werden. Vielen Menschen rund um den Globus werden elementare Grundrechte wie Versammlungs-, Vereinigungs- und Redefreiheit, wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 verankert sind, verweigert. Diese Grundrechte sind aber Voraussetzung, um politische Teilhabe zu ermöglichen. Auch wenn das kein neuer Trend ist: Die Handlungsspielräume emanzipatorischer zivilgesellschaftlicher Akteur*innen werden heute wieder massiver eingeschränkt als vor 20 Jahren. Wir beobachten, wie manche der nach dem Ende des Kalten Krieges erreichten Fortschritte in der Demokratisierung in Osteuropa, in Afrika und Lateinamerika (Dritte Welle der Demokratisierung) wieder zurückgenommen werden. Partizipations- und Beteiligungsrechte werden regelrecht einkassiert. 

Das Netzwerk CIVICUS, das seit Jahren mit dem Civil Society Monitor den zivilgesellschaftlichen Handlungsspielraum in 197 Ländern misst, hält fest, dass nur 3,1 Prozent der Weltbevölkerung in Ländern mit restriktionsfreien Zugängen für zivilgesellschaftliches Engagement (open civic space) leben. Die Organisation Reporter ohne Grenzen misst den Grad der Pressefreiheit und vergleicht die Situation für Journalist*innen und Medien in 180 Staaten und Regionen. Sie verschlechtern sich global kontinuierlich. In Russland ist sie seit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine de facto abgeschafft. Journalist*innen in allen Kontinenten müssen befürchten, für ihre Arbeit ermordet zu werden. Mexiko ist für sie eines der tödlichsten Länder der Welt.

Abbau von Demokratie

Immer öfter treiben auch demokratisch gewählte Politiker*innen und Parteien den Abbau von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit willentlich voran, indem sie demokratische Institutionen unterminieren, unabhängige Medien und Gerichtsbarkeit angreifen und Hass gegen Minderheiten, LGBTIQ+ oder Migrant*innen schüren. Ungarn unter Orban, Brasilien unter Bolsonaro, die USA unter Trump sowie die derzeitige Regierung in Israel dienen als Beispiele für diesen besorgniserregenden Trend.

Trotz all dieser Einschüchterungsversuche und Risiken nehmen weltweit die Proteste gegen Willkür, Ungleichheit, die Klimakatastrophe und Umweltzerstörungen, Korruption und Unterdrückung in den letzten Jahrzehnten eher zu als ab.  Es gibt immer mehr lokale Proteste gegen Staudämme, illegale Abholzung und Landraub sowie gegen die sozialen und ökologischen Auswirkungen von Bergbau und anderen großen Infrastrukturprojekten. Dieser lokale Protest ist im digitalen Zeitalter noch schneller mit einer internationalen Öffentlichkeit und politischen Netzwerken verknüpfbar und damit sichtbar. Das wollen die politischen und ökonomischen Eliten in vielen Ländern offensichtlich abstellen. Sie sehen ihre Entwicklungsmodelle und Profite bedroht. Das Argument – keine Einmischung in innere Angelegenheiten – wird von Regierungen und häufig gleichgeschalteten Medien dann ins Feld geführt, wenn sich externe Akteur*innen politisch und finanziell mit sozialen und ökologischen Aktivist*innen und Organisationen vor Ort vernetzen. Auch demokratisch gewählte Regierungen benutzen diese Argumentationsfigur, um Proteste gegen Landraub, Erdölpipelines oder Kohlebergbau zu delegitimieren und als extern gesteuert zu diffamieren.

Die Repression hat viele Gesichter

Überall auf der Welt fürchten Regierungen und wirtschaftliche Akteur*innen um ihre Privilegien und ihre politische und ökonomische Macht. Dutzende Regierungen in Afrika, Westasien und Nordafrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa manifestieren ihre Macht durch Brutalität: Bespitzelung und Einschüchterung, drakonische Haftstrafen, Folter und offene polizeiliche oder militärische Gewalt. Dabei nehmen Geheimdienste oder Milizen nicht selten auch die Familien von Kritiker*innen und Oppositionellen in Sippenhaft, um sie zum Schweigen zu bringen.

Rechte Gruppierungen, private und substaatliche Akteur*innen beteiligen sich massiv an Online-Hass, gezielten Desinformationskampagnen, Repressalien und sogar Morden – darunter Sicherheitsdienste, Drogenkartelle, Milizen und Mafiastrukturen. Die Art und Weise, wie die Regierungen weltweit die Handlungsspielräume für zivilgesellschaftliche Akteur/innen einschränken und kontrollieren, gleicht sich. Sie lernen voneinander, schauen sich Unterdrückungsmethoden voneinander ab und gehen damit regelrecht nach einem „playbook“ vor.

Digitalisierung und die Sozialen Medien sind dabei ein zweischneidiges Schwert. So wie sie progressiven Akteur*innen neue Möglichkeiten eröffnen, sich zu vernetzen und zu mobilisieren, bieten sie auch autoritären Systemen ungeahnte Möglichkeiten der Überwachung und Kontrolle. Die Öffentlichkeit manipulieren, Wahlen beeinflussen, Shitstorms entfesseln – dafür wurde in den letzten Jahren eine regelrechte Desinformationsindustrie aufgebaut, die zielgerichtet Personen oder demokratische Institutionen ins Visier nimmt. 

Gesetze und Bürokratie als Waffe

Nicht immer wird Widerstand blutig unterdrückt. Auch wenn nicht wenige Staaten weiterhin ihre eiserne Faust zeigen, versteckt sich Repression immer öfter hinter einer demokratischen Fassade. Die Waffe besteht hier aus einem ganzen Bündel an gesetzlichen und administrativen Maßnahmen. Die sogenannten NGO-Gesetze sind das markanteste Instrument der Kontrolle organisierter Zivilgesellschaft. Die Beziehungen zwischen Staat und Zivilgesellschaft und zwischen in- und ausländischen Nichtregierungsorganisationen zu regeln (Vereinsrecht, Gemeinnützigkeit, Berichtspflichten, Transparenz zu Geldflüssen usw.) ist legitim. Die Frage ist jedoch, ob diese Regelungen die fundamentalen Grundrechte und die Unabhängigkeit garantieren oder eben einschränken. Eine große Zahl von Ländern – ob autokratisch oder demokratisch - hat in den vergangenen Jahren NGO-Gesetze modifiziert oder neu verabschiedet, die genau gegen diese Grundsätze verstoßen und vor allem darauf abzielen, einheimische Organisationen von ausländischen Geldflüssen abzuschneiden bzw. diese zu kontrollieren. Die meisten von ihnen verbieten es, gegen die «öffentliche Ordnung und Sicherheit » oder «nationale Interessen» zu agieren oder gegen «gesellschaftliche Moralvorstellungen» zu verstoßen. Dies richtet sich vor allem gegen Frauen- und LGBTIQ-Rechte.  Die Gesetzestexte sind vage und bewusst offen formuliert, bieten also ausreichend Spielraum für Interpretationen und damit politische Willkür.

Es ist wichtig, sich das ganze Set der Gesetzgebungen anzuschauen, um alle Dimensionen zu erfassen, die das Handeln und Wirken kritischer Zivilgesellschaften einschränken. Weit mehr als 150 sogenannte Anti-Terrorgesetze richten sich nicht alleine gegen Terroristen, sondern in vielen Fällen auch gegen die kritische und demokratische Opposition und Zivilgesellschaft, die des Terrorismus bezichtigt werden. Medien- und Antidiffamierungsgesetze, Registrierungs- und Lizenzierungsvorgaben verunmöglichen kritisches zivilgesellschaftliches Handeln. Den jüngsten Zahlen des International Center for Not-For-Profit-Law zufolge haben 82 Länder in den vergangenen fünf Jahren mehr als 237 Gesetze vorgeschlagen oder eingeführt, die sich auf zivilgesellschaftliche Aktivität auswirken. Davon ist mit 84 Prozent die große Mehrheit dieser gesetzlichen Initiativen restriktiver Natur.

Wo Gesetze und Rechtssysteme nichts mehr mit Rechtsstaatlichkeit und legitimem Interesse an Transparenz zu tun haben, sondern als Waffe eingesetzt werden, um Kritiker*innen auszuschalten und von der Ausübung ihrer gesetzlichen Rechte abzuhalten, sprechen Aktivist*innen heute von „lawfare“ – angelehnt an warfare, also Kriegsführung.

Teilhabe entpolitisiert

Repressionen und neue Gesetze zielen darauf ab, jede kritische Stimme, die sich gegen Regierungshandeln erhebt, mundtot zu machen. Zivilgesellschaftliches Engagement bleibt gleichwohl erlaubt, wenn es unpolitisch ist und im sozialen- wie im Umweltsektor weiterhin beispielsweise staatliche Aufgaben übernommen werden, ohne Ansprüche auf demokratische Teilhabe zu erheben oder strukturelle Ursachen von Armut und Ungleichheit anzugehen. Entpolitisierte NGOs sind erwünscht, sie werden von Regierungen eigens gegründet. Sie dürfen auch ausländisches Geld annehmen, wenn auch unter staatlicher Kontrolle. Die Trennung in gute und in böse oder staatsfeindliche NGOs und soziale Bewegungen durch Regierungen und Medien ist längst in vollem Gange.

Für eine neue Solidarität

Ermutigend trotz all der beschriebenen massiven Verschlechterungen und repressiven Einschränkungen für emanzipatorisches politisches Handeln sind die vielfältigen lokalen, nationalen und internationalen Kämpfe und Proteste für soziale und ökologische Rechte, für geschlechtliche Selbstbestimmung, Freiheit, und Widerstand gegen Willkür und Korruption und die weitere Ausbeutung des Planeten. Meinungs-, Organisations- und Versammlungsfreiheit sind Voraussetzung und die Essenz jeder Demokratie. Ihre Einschränkung muss alle demokratischen Regierungen herausfordern, stärker global zu kooperieren. Sie erfordert unser Handeln auf allen Ebenen. In allen multilateralen Foren müssen Teilhabe und Partizipation garantiert, Ausschluss und Repression auf die Tagesordnung. Die Global Assembly, wie wir sie in Frankfurt organisieren, ist so ein Ort, Gegenstrategien von unten weiterzuentwickeln, Mut zu machen und sich miteinander zu solidarisieren.

 


Barbara Unmüßig war bis März 2022 Vorstand der Heinrich Böll Stiftung und organisiert die Global Assembly mit.

Layla Al-Zubaidi ist stellvertretende Leiterin des Bereichs Internationale Zusammenarbeit der Heinrich Böll Stiftung.


 

Download: Der Freitag Spezial Global Assembly (PDF)

 


Hinweis: Eine kürzere Version des Artikles erschien zuerst auf der Website der Freitag.