Vergiftete Flüsse: Lebensadern voller Chemie

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Würde man alle deutschen Fließgewässer aneinanderreihen, könnten sie dreimal den Erdball umrunden. Sie dienen als Lebensraum, Transportweg und Wasser-speicher. Doch schädliche Substanzen, etwa Ewigkeitschemikalien wie PFAS, vergiften Rhein & Co – und damit auch uns Menschen. Verbindliche Regeln können helfen.

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Auswirkungen von PFAS (Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen) auf die menschliche Gesundheit
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Chemikalien wie PFAS belasten Gewässer langfristig. Sie sind schwer abbaubar, reichern sich in der Natur an und gefährden Trinkwasser und Menschenleben

Rheins Rolle in Umwelt und Wirtschaft

Durch staatliche Grenzen lassen sich Flüsse nicht aufhalten. Der Rhein etwa entspringt in der Schweiz, wo etliche kleine Bäche und Flüsse aus den Alpen zusammenfinden. Er fließt weiter durch Liechtenstein und Österreich, streift dann Frankreich und bekommt zum Beispiel in Duisburg Zulauf durch die Ruhr. Das ermöglicht dort den Betrieb des größten Binnenhafens der Welt. Schließlich passiert der Rhein die Grenze zu den Niederlanden und mündet im Meer. Circa einen Monat braucht das Rheinwasser, um die Strecke zwischen Quelle und Mündung zurückzulegen.  Flüsse wie der Rhein sind Lebensadern. Sie zählen zu den artenreichsten Lebensräumen der Welt. Im Wasser, am Grund und an den Ufern beherbergen sie zahlreiche Fische, Amphibien, Insekten und Vögel. Menschen auf dem Land und in der Stadt schätzen Flüsse als einzigartiges Erholungsgebiet für Spaziergänge, Bootstouren oder zum Schwimmen. Neben Paddelbooten und Ausflugsdampfern transportieren Flüsse auch ungeheure Mengen an Waren: Mit 300 Millionen Tonnen Fracht pro Jahr ist der Rhein Europas bedeutendste Wasserstraße. 

Wasseratlas 2025

Der Wasseratlas 2025

Wasser ist lebenswichtig, doch Übernutzung, Verschmutzung und Klimawandel bedrohen die Vorräte. Besonders Industrie und Landwirtschaft bieten großes Potenzial für wasserschonendere Systeme, erfordern aber Veränderungsbereitschaft. Der Wasseratlas 2025 von Heinrich-Böll-Stiftung und BUND informiert über den Schutz von Wasserökosystemen und das Menschenrecht auf Wasser.


Trinkwasser aus Oberflächengewässern

Indem sie Niederschläge aufnehmen und Wasser bei Bedarf wieder abgeben, können Flüsse Wasser speichern und regulieren. In Deutschland stammen zudem rund 30 Prozent des Trinkwassers direkt oder indirekt aus Oberflächengewässern, also aus Talsperren, Seen und Flüssen. Entscheidend für den Konsum ist gute Wasserqualität. Die hat sich zwar in den vergangenen Jahrzehnten verbessert, stellt aber immer noch ein Problem dar. So weisen nur 8 Prozent der deutschen Flüsse und Bäche einen guten oder sehr guten ökologischen Zustand auf. Das liegt zum einen daran, dass viele Fließgewässer begradigt wurden, was die natürliche Dynamik des Flusses beeinträchtigt, Lebensräume zerstört und der Artenvielfalt schadet. Zum anderen sammeln sich Abwasser aus Städten und Industrieanlagen sowie Dünger und Pestizide aus der Landwirtschaft in vielen Flüssen an.

Ökologischer Zustand von Oberflächengewässern in Deutschland, 2021
Industrie, Haushalte und Landwirtschaft belasteten Flüsse mit Schad- und Nährstoffen. Begradigungen und Uferverbau schaden ihnen zusätzlich

Industrie und Schadstoffausstoß

Aus der Industrie landen im Fluss zum Beispiel Chemikalien wie PFAS. Die Abkürzung steht für per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen. Sie kommen unter anderem in Pestiziden, Lebensmittelverpackungen, Kosmetik, Feuerlöschschaum und Reinigungsmitteln vor; sie statten Pfannen mit dem Anti-Haft-Effekt aus oder sorgen in Outdoorkleidung dafür, Regentropfen abzuhalten. Weil sie extrem langlebig sind, werden PFAS auch Ewigkeitschemikalien genannt. Pro Jahr werden in der Europäischen Union (EU) rund 300.000 Tonnen produziert und verarbeitet. Auch in den zahlreichen Industrieanlagen und Chemiefabriken am 865 Kilometer langen Rheinufer in Deutschland: Im Vergleich mit anderen Flusseinzugsgebieten hat der Rhein die höchste Industriedichte der Erde. Hier sitzen Weltkonzerne wie Bayer und BASF. Durch Produktion und Entsorgung, durch Abwässer und Schornsteine gelangen PFAS in den Fluss und gefährden die Gesundheit der Menschen, die auf ihn als Trinkwasserquelle angewiesen sind oder ihn für Freizeitaktivitäten nutzen. Studien zeigen, dass PFAS zu Leberschäden, Schilddrüsenerkrankungen, Fettleibigkeit, Fruchtbarkeitsstörungen und Krebs führen können. Einige PFAS sind äußerst mobil und werden durch Wind und Wasser über große Distanzen transportiert und finden sich überall auf der Welt. Mittlerweile wurden sie sogar in der Arktis, der Antarktis und im Himalaya-Gebirge nachgewiesen. In Deutschland gelten über 1.500 Orte als belastet. Im bayrischen Altötting werden Blutspenden von Einwohner*innen wegen hoher PFAS-Werte nicht mehr für Blutkonserven genutzt. Der Landkreis ist auch als Bayerisches Chemiedreieck bekannt, da dort außergewöhnlich viele Chemiefirmen produzieren.

Prognostizierte Entwicklung der Biodiversität weltweit, 1970 bis 2040
In Europa sind wandernde Süßwasserfischbestände seit 1970 um 93 Prozent zurückgegangen, wegen Lebensraumverlust, Wasserverschmutzung, Klimakrise

Gefahren durch Ewigkeitschemikalien

Auch wenn sich viele Substanzen kurzfristig kaum aus dem Verkehr ziehen lassen: Strengere Vorschriften helfen zumindest dabei, ihre Konzentration im Wasser zu senken. Gewerbliche Verwendungsverbote sind ein effektives Instrument, um in Gewässern die Konzentration solcher Substanzen zu reduzieren. Für Perfluorotansulfonsäure (PFOS) und Perfluoroktansäure (PFOA), die zur Gruppe der PFAS gehören, hat die EU ein Verbot bereits vor Längerem erlassen. Seitdem ist ihre Konzentration stark zurückgegangen: Wurden im Rhein im Jahre 2006 noch bis zu 80 Nanogramm PFOS pro Liter gemessen, ist die Konzentrationen mittlerweile auf unter 8 Nanogramm pro Liter gesunken. Derzeit wird in der EU ein Verbot aller mehr als 10.000 PFAS diskutiert. Dagegen wehren sich Lobbyverbände der Industrie und deutschen Chemiekonzerne wie Bayer oder BASF, die mit den Ewigkeitschemikalien viel Geld verdienen. Im September 2024 hat der Niederländische Wasserverband die deutsche Bundesregierung aufgefordert, strengere Grenzwerte für PFAS einzuführen, die in Deutschland in den Rhein und damit in die Niederlande gelangen.