"Diese Kultur der Straflosigkeit macht es leichter Morde zu verüben"

Die gemeinnützige Organisation Global Witness stellt Umweltvergehen und Menschenrechtsverletzungen, die durch die Ausbeutung natürlicher Ressourcen und Korruption befördert werden, in das Licht der Öffentlichkeit. 2014 enthüllte sie in ihrem Bericht „Tödliche Umwelt“ (Deadly Environment), dass vor dem Hintergrund des verschärften Wettbewerbs um natürliche Ressourcen die Ermordung von Menschen, die Umwelt und Landrechte schützen, zwischen 2003 und 2013 bedeutend angestiegen ist. Ihr zuletzt unter dem Titel „Auf gefährlichem Boden“ (On Dangerous Ground) veröffentlichter Bericht dokumentiert für das Jahr 2015 weltweit 185 bekannt gewordene Todesfälle von Umweltaktivist/innen – die bislang höchste jährliche Todesrate. Claudia Rolf sprach mit Bill Kyte, einem der Autoren des Berichts.

Claudia Rolf: Ihre Berichte bringen die Ermordung von Land- und Umweltverteidiger/innen ans Licht. In einer „tödlichen“ Umwelt valide Informationen zu sammeln, ist keine einfache Aufgabe. Wie erbringen Sie Nachweise und worin bestehen dabei die wesentlichen Herausforderungen?

Billy Kyte: Das Zusammentragen der Daten für unsere Jahresberichte zur Ermordung von Land- und Umweltverteidigern beruht zumeist auf Schreibtischarbeit. Wir durchforsten öffentliche Quellen wie UN-Reporte, Protokolle von Nichtregierungsorganisationen und Medienberichte nach Fällen, welche die Kriterien zur Aufnahme in unsere Datenbank erfüllen. Die Methode, mit deren Hilfe Fälle aufgenommen werden, basiert auf einem etablierten Format zur Registrierung von Menschenrechtsverletzungen (vgl. Huridocs). Sofern möglich verifizieren wir anschließend unsere Fälle mit inländischen Partner/innen, welche die Ermordung von Aktivist/innen beobachten. Häufig liefern sie uns Informationen aus erster Hand, die unsere Nachforschungen ergänzen. Die größte Herausforderung liegt für uns darin sicher zu stellen, dass wir die notwendigen Informationen haben, um einen Fall aufzunehmen. Es kann schwierig sein, das vermutete Motiv hinter dem Tod eines Aktivisten zu finden. Manchmal – wie im Fall der jüngsten Proteste gegen Großprojekte in Äthiopien – ist es enorm schwierig, überhaupt nur der Namen der Opfer habhaft zu werden.

Neben der Herausgabe der Jahresberichte untersuchen wir auch die Hintergründe von Todesfällen in bestimmten Schwerpunktländern, wie beispielsweise Honduras. Diese Arbeit beruht im Wesentlichen auf Feldarbeit und beinhaltet das Reisen in die „tödlichen Umgebungen“. Sicherheitsrisiken für uns selbst und auch für unsere Informant/innen im Land müssen äußerst ernst genommen werden, denn viele der vermutlichen Täter sind Akteure aus Staat und Wirtschaft, die in ihrem Einflussbereich enorme Macht ausüben.

Umweltaktivist/innen sind unter Druck. Welche Rolle spielen staatliche und nichtstaatliche Akteure – beispielsweise Firmen und bewaffnete nichtstaatliche Akteure? Können Sie zugrundeliegende Strategien, Muster und Dynamiken erkennen?

Nur wenige Mörder von Aktivist/innen sind jemals vor Gericht gebracht worden – was dem Versagen von Regierungen geschuldet ist, gründlich zu ermitteln oder irgendjemand für diese Verbrechen anzuklagen. Viele Behörden drücken entweder ein Auge zu oder behindern aktiv Ermittlungen zu den Morden, da sich die Interessen von Wirtschaft und Staat – den Hauptverdächtigen hinter den Ermordungen – überschneiden. Diese etablierte Kultur der Straflosigkeit macht es leichter, auch in Zukunft Morde zu verüben, denn die Verantwortlichen wissen, es ist unwahrscheinlich, dass sie zur Rechenschaft gezogen werden.

Ein Beispiel dafür ist der unverfrorene Angriff auf den Umweltschützer Rigoberto Lima Choc in Guatemala, der auf den Stufen eines lokalen Gerichtsgebäudes erschossen wurde, nachdem er die Verschmutzung eines nahegelegenen Flusses angeprangert hatte. Dieser Mangel an Verantwortlichkeit macht das Berichten über Straftäter/innen gefährlich. Oft gibt es keine detaillierten Informationen über diejenigen, die für das Töten verantwortlich sind, oder öffentliche Berichte über polizeiliche Ermittlungen.

Selbst in den seltenen Fällen, wo Mörder verhaftet wurden, gab es nur wenige Anzeichen dafür, dass gegen diejenigen, die die Morde in Auftrag gaben, ermittelt wurde – was vermuten lässt, dass machtvolle Interessen im Spiel sind. Trotzdem fanden wir 2015 in 97 Fällen partielle Informationen über mutmaßliche Täter. Die Daten lassen stark die Beteiligung von Staat und Wirtschaft an der Ermordung von Land- und Umweltverteidiger/innen vermuten. Paramilitärische Gruppen stehen im Verdacht, 16 außergerichtliche Tötungen in Kolumbien und auf den Philippinen ausgeführt zu haben, wo diese mit der Unterstützung von Armee und Wirtschaftsinteressen operieren sollen. Die Armee selbst war in 13 Tötungsdelikte verwickelt, ebenfalls hauptsächlich in Kolumbien und auf den Philippinen, wo interne bewaffnete Konflikte als Vorwand für Landraub aus Wirtschaftsinteresse mit Unterstützung des Militärs dienen. Weitere mutmaßliche Ermordungen durch die Armee werden aus Myanmar und Indonesien berichtet.

Ihr Bericht unterstreicht die Notwendigkeit, den Schutz von Land- und Umweltverteidiger/innen in den Mittelpunkt nachhaltiger Entwicklung zu rücken. Warum ist dies so wichtig?

Land- und Umweltverteidiger/innen sind entscheidend für eine nachhaltige Entwicklung. Überall auf der Welt unterstützen Regierungen, Firmen und Finanziers Agenden mit Nachdruck, die Bergbau, Agrarindustrie, Abholzung und Staudammprojekten Priorität einräumen. Fallende Rohstoffpreise geben perverse Anreize, den Abbau von Ressourcen zu intensivieren, während Umwelt- und Menschenrechtsbelangen nur spärliche Aufmerksamkeit zukommt. Diese Industriezweige beuten zunehmend Land aus, das indigenen Völkern gehört – welche durch ihre traditionellen Lebensgewohnheiten bestens geeignet sind, Ressourcen zu bewahren. Sie aber sind im Jahr 2015 mit einem Anteil von fast 40 Prozent am stärksten von Tötungsdelikten betroffen. Es sind dringend strengere Maßnahmen zum Schutz von Land- und Umweltverteidiger/innen nötig. Regierungen müssen den Schutz für Bedrohte verstärken und rückhaltlos gegen die Verantwortlichen ermitteln. Unerlässlich ist es aber auch, die zugrundeliegenden Probleme anzugehen, welche die Gewalt befördern. Das bedeutet die vorrangige Anerkennung kommunaler Landrechte als auch die Bekämpfung von Korruption und der illegalen Ausbeutung von Ressourcen. Ebenso müssen Projekte, die Konflikte verursachen, dringend überprüft und die Rechte von Aktivist/innen, sich zu äußern, gefördert werden. Ohne solche Maßnahmen werden diejenigen, die in der ersten Reihe im Kampf für die Rettung der Umwelt stehen, auch weiterhin in Rekordzahlen ermordet werden – und mit ihnen all unsere Hoffnung für künftige Generationen.

Was kann die Zivilgesellschaft zum Schutz von Umweltaktivist/innen beitragen?

Zivilgesellschaftliche Organisationen können einen wichtigen Part dabei übernehmen, die Praktiken von Staat und Wirtschaft zu ändern und den Schutz von Umweltaktivist/innen zu gewährleisten. Erstens indem sie von Angriffen auf Aktivist/innen berichten, sich für deren Schutz einsetzen und dafür sorgen, dass gegen die Täter/innen ermittelt wird und diese zur Verantwortung gezogen werden. Zweitens indem man Regierungen drängt, Entschädigung zu leisten und kontroverse Projekte zu überprüfen. Drittens sollten zivilgesellschaftliche Organisationen das Recht von Aktivist/innen unterstützen, ihre Meinung gegen auf ihrem Land geplante Projekte zu äußern. Und schließlich müssen wir die der Gewalt gegen Aktivist/innen zugrundeliegenden Ursachen enthüllen, was vorrangig sowohl die formale Anerkennung von Landrechten als auch die Bekämpfung von Korruption und illegaler Rohstoffausbeutung bedeutet.

Herzlichen Dank!

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Zur Person:
Billy Kyte leitet die Kampagne von Global Witness gegen die Ermordung von Land- und Umweltschutzaktivist/innen, die ihr Land, ihre Wälder und Wasserwege vor dem Expandieren der Agrikultur im großen Maßstab, gegen Staudämme, Bergbau, Abholzung und andere Bedrohungen schützen. Bevor er sich 2009 Global Witness anschloss, lebte er längere Zeit in Lateinamerika, wo er als Journalist und für die Menschenrechtsorganisation Peace Brigades International tätig war. Er lebte und arbeitete auch in Myanmar, hier konzentrierte er sich auf Probleme der Ressourcenpolitik. Billy ist Autor mehrerer Berichte über Menschenrechtsverletzungen und Übergriffe auf Aktivist/innen in Lateinamerika.
 

Dieser Artikel ist ein Beitrag aus unserem Dossier: "Es wird eng – Handlungsspielräume für Zivilgesellschaft".