"Preise müssen die ökologische Wahrheit sagen"

Kann eine ökonomische Bewertung von Natur die Umweltkosten tatsächlich internalisieren?

Neue Ökonomie der Natur: Umweltkosten und Ökosystemleistungen

Die ökonomische Bewertung von Natur soll es Unternehmen ermöglichen, (Umwelt-)Kosten, die sie verursachen, zu internalisieren. Dahinter steht die Idee, Wirtschaftskreisläufe so zu gestalten, dass der Preis einer Ware oder Dienstleistung die 'ökologische Wahrheit sagt', damit die Verursacher/innen oder Verbraucher/innen und nicht die Allgemeinheit die damit verbundenen Umweltkosten tragen.

In der Praxis sagen auch dort, wo ökonomische Berechnungen angestellt wurden, die Preise nicht tatsächlich die ökologische Wahrheit, denn solche Preise wären nicht durchsetzbar

Bislang sagen die Preise für Waren und Dienstleistungen nicht die ökologische Wahrheit. Die Folgekosten von Umweltzerstörung fließen nicht in die Preise ein; die Kosten trägt die Allgemeinheit. Wie schwer es ist, die Idee einer Internalisierung von Umweltkosten praktisch umzusetzen, wird in der Klimapolitik deutlich, die vorgibt, auf Preissignale als Steuerungsinstrument zu setzen. Wie hoch der Preis für den Ausstoß von Kohlendioxid sein müsste, zeigen unterschiedliche Modellberechnungen, die auf Grundlage der wirtschaftlichen Folgekosten von Kohlendioxid ("social cost of carbon") die externen Kosten beziffern. Laut einer 2015 veröffentlichten Studie müsste der Ausstoß einer Tonne Kohlendioxid 200 Mal so viel kosten wie heute, um allein die wirtschaftlichen Folgeschäden des Klimawandels widerzuspiegeln. Die weit verbreitete Reaktion auf die Studie ist bezeichnend: "Keine Regierung wird Wirtschaft und Industrie solche hohen Kosten zumuten wollen."

Das zeigt, dass eine ökonomische Bewertung von Naturzerstörung oder von Umweltschäden nicht dazu führt, dass Preise die ganze 'ökologische Wahrheit' sagen. Denn wie hoch müssten die Preise sein, wenn es nicht nur um die Internalisierung lokaler Umweltkosten geht, sondern wie beim Klimawandel um das Vermeiden ökologischer Kipp-Punkte und das Überschreiten globaler ökologischer Tragfähigkeit? Hinzu kommen methodische Schwierigkeiten: Welche Summe wird veranschlagt für das Aussterben einer Art? Welche Summe für die Versalzung von Trinkwasser Tausende Kilometer entfernt vom Kohleabbaugebiet oder der Konzernzentrale des Kohleunternehmens? Welche enorm hohen Preise man ansetzen müsste, verdeutlicht eine Studie, die den ökonomischen Wert 17 ausgewählter „Ökosystemleistungen“ in 16 Lebensräumen weltweit beziffert. Danach beläuft sich ihr Wert auf 16 bis 54 Billionen US-Dollar pro Jahr. Doch welche Relevanz für eine auf endloses Wachstum ausgerichtete Weltwirtschaft hat eine solch immense – und gleichzeitig zu niedrige - Zahl?

Die Preise können nie die „ganze“ Wahrheit sagen

Und selbst eine solch immense Zahl muss zwangsläufig viel zu niedrig ausfallen, weil ihre Berechnung eben nur jene Funktionen von Natur berücksichtigt, die methodisch erfassbar und damit messbar sind. Selbst ein auf Grundlage dieses Wertes errechneter hoher Preisaufschlag auf Waren und Dienstleistungen würde immer noch nicht "die ökologische Wahrheit" sagen. Denn nach wie vor unberücksichtigt und damit weiterhin 'extern' bleiben hierbei neben den nicht erfassten "Ökosystemleistungen" auch soziale, kulturelle und spirituelle Funktionen von Natur. In der Logik der ökonomischen Inwertsetzung, so wie sie in kapitalistischen Wirtschaftssystemen stattfindet, wird Natur immer nur unvollständig und ungleich internalisiert. Mit jeder Internalisierung bleiben weitere Externalitäten unberücksichtigt. Bestenfalls wechseln einige Funktionen von Natur ihren Status von 'extern' zu ‚intern‘. Welche Funktionen von Natur dabei internalisiert werden, ist immer eine politische Entscheidung. Gerade das aber kommt in der aktuellen Debatte um die ökonomische Bewertung von Natur nur selten klar zum Ausdruck.

Die Bepreisung von (Umwelt-)Kosten lenkt von den strukturellen Ursachen der Zerstörung ab

Im Kontext heutiger Umweltkrisen lenkt die Forderung nach einem angemessenen Preis, etwa für Treibhausgasemissionen, vom Kern der Herausforderung ab, die strukturellen Ursachen der Probleme anzugehen. Der Fokus auf die Diskussion um Preise und marktbasierte Instrumente führt schon heute dazu, dass die Schadensbegrenzung (Regulierung von Treibhausgasemissionen durch Bepreisung) mehr Aufmerksamkeit bekommt als die Bekämpfung der eigentlichen Ursachen (Ende der Nutzung von Kohle, Erdöl und Erdgas als Energieträger).