Die erste Konferenz der israelischen Tageszeitung Haaretz in Berlin hat den Blick auf die Zukunft im Nahen Osten gerichtet. Die großen Fragen: Wie können Israelis und Palästinenser*innen nach dem Gaza-Krieg künftig zusammenleben? Und welche Rolle spielt Deutschland dabei?
Auf der Haaretz-Konferenz in Berlin mit dem Titel „Bruchlinien und Zukunftsperspektiven: Israel, Gaza und Deutschland in Kriegszeiten und darüber hinaus“, die am Donnerstag den 6. November 2025, im Haus der Berliner Festspiele stattfand, diskutierten internationale Expert*innen und Entscheidungsträger*innen über die aktuelle Lage in Israel, den palästinensischen Gebieten, Deutschland und der Welt – und darüber, wie es in der Region nach dem Gaza-Krieg weitergehen wird.
Die ganztägige Konferenz – die erste von Haaretz in Deutschland – wurde in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung veranstaltet und weltweit live übertragen.
Es gab Vorträge und Podiumsdiskussionen mit Dr. Franziska Brantner, Co-Vorsitzende der Grünen in Deutschland, Knesset-Mitglied Ayman Odeh, Vorsitzender der Hadash-Ta'al-Partei, Ehud Olmert, ehemaliger israelischer Premierminister, Dr. Nasser al-Kidwa, ehemaliger palästinensischer Außenminister, sowie mit der bekannten israelischen Autorin Zeruya Shalev und weiteren israelischen, palästinensischen, deutschen und internationalen Redner*innen. Weitere Partner der Konferenz waren Campact, New Israel Fund Deutschland, Brot für die Welt, die Candid Foundation, die taz Panter-Stiftung, das Goethe-Institut, KigA, Givat Haviva und B8 of Hope.
Matthias Pees, Direktor der Berliner Festspiele, betonte, dass seine Organisation Boykotte ablehne und sich dafür engagiere, „Räume für Diskussionen offen zu halten und zu vertiefen“, da solche Räume seiner Ansicht nach entscheidend für „die Grundlage unseres zukünftigen Zusammenlebens und die Zukunftsfähigkeit der Menschheit“ seien.
Wege zum Frieden in Nahost
Eines der wichtigsten Themen war die Nachkriegsordnung im Gazastreifen. Olmert und Kidwa diskutierten mit Haaretz-Chefredakteur Aluf Benn ihre Vision für Frieden zwischen Israelis und Palästinenser*innen – sowie die Schwierigkeiten, diese zu erreichen.
„Die Menschen sind nach dem Krieg nicht in der Stimmung, über Frieden zu sprechen“, sagte Kidwa. „Sie sind in der Stimmung, Rache zu üben.“ Er äußerte auch seine Hoffnung, dass nach dem „wirklichen Ende“ des Krieges das Interesse an einer politischen Zwei-Staaten-Lösung wieder aufleben werde, „die die einzige tragfähige Lösung für den Konflikt zwischen beiden Seiten ist“. Er fügte hinzu: „Wir können es uns nicht leisten, nicht hoffnungsvoll zu sein“, und erklärte: „Trotz aller Probleme und aller Gräueltaten, die geschehen sind (…) gibt es meiner Meinung nach eine unabdingbare Voraussetzung, um voranzukommen.“ Die Palästinenser*innen bräuchten echte Hoffnung und Ehrlichkeit von ihrer Führung, sagte er.
Benn fragte, ob der prominente palästinensische Gefangene Marwan Barghouti, der wegen der Anordnung und Überwachung von Anschlägen, bei denen fünf israelische Zivilisten getötet wurden, verurteilt wurde, freigelassen werden sollte. Olmert sagte, diese Frage sei eine Beleidigung für die Palästinenser*innen. „Glauben Sie wirklich, dass es unter allen Palästinensern niemanden gibt, der sie führen könnte, außer jemandem, der seit 24 Jahren [im Gefängnis] sitzt, und sie wissen nicht, wer er ist und was er kann?“, fragte Olmert. Er fügte hinzu, dass die Israelis den Palästinenser*innen keinen Führer zur Verfügung stellen müssten, weil „sie klug genug sind, das selbst zu tun“.
Olmert verurteilte auch die Gewalt der Siedler im Westjordanland – und die staatlichen Mechanismen, die sie ermöglichen – scharf. „Was heute in den besetzten Gebieten täglich geschieht, sind Verbrechen der schlimmsten Art, für die ich mich als Israeli und als Jude schäme“, sagte er. Diese Taten können nicht als Handlungen einer kleinen Minderheit abgetan werden, denn „sie werden von Tausenden begangen und von Zehntausenden unterstützt, und die Kommunalpolitiker, die in der jüdischen Gemeinschaft in den Gebieten enorm einflussreich sind, stehen voll und ganz hinter ihnen“, so Olmert. Die Verbrechen, die täglich von diesen Siedlern begangen werden – Brandstiftung, Hausfriedensbruch, Zerstörung von Eigentum, sogar Mord – und die Blindheit der israelischen Sicherheitskräfte, die stattdessen oft Palästinenser*innen festnehmen, seien „widerwärtig und abscheulich, unvergesslich und unverzeihlich“.
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Open external content on original siteEr fuhr fort: „Wenn wir glauben, dass wir weiterhin Millionen von Menschen für immer besetzen können, ihnen ihr Recht auf Selbstbestimmung verweigern, ihnen das Recht auf Bewegungsfreiheit in ihrem eigenen Land verweigern und sie Tag und Nacht auf alle möglichen Arten durchsuchen können – dann wird uns das nicht näher an das Leben bringen, das wir verdienen und das sie verdienen.“
Der Knesset-Abgeordnete Ayman Odeh, Vorsitzender der Hadash-Ta'al-Partei, sagte in seiner Rede: „Jede [aus Gaza] zurückgekehrte Geisel ist ein Sieg. Jedes Kind und jede Familie, die Gaza überlebt haben, sind ein Sieg. Aber das ist nicht der Sieg, den Netanjahu will“, und fügte hinzu: „Was wurde erreicht und zu welchem Preis? Palästinensische Städte wurden von der Landkarte getilgt. Zehntausende Palästinenser in Gaza wurden getötet, darunter 20.000 Kinder. Hunderttausende wurden obdachlos. Das ist kein Sieg. Das ist Verwüstung.“
Odeh forderte Deutschland außerdem auf, einen palästinensischen Staat anzuerkennen, und erklärte, dass seine einzige Forderung an US-Präsident Donald Trump, als dieser im Oktober vor der israelischen Knesset sprach, die Anerkennung eines palästinensischen Staates gewesen sei. „Deshalb bitte ich auch Sie: Deutschland – erkennen Sie Palästina an! Erkennen Sie an, dass es in unserer gemeinsamen Heimat zwei Völker gibt, die beide das Recht auf Selbstbestimmung haben“, rief er unter großem Applaus.
„Man kann seinen Nachbarn nicht vernichten, ohne sich selbst zu vernichten. Man kann seine Zukunft nicht auf den Gräbern von Kindern aufbauen“, sagte er. „Wir sind zwei Völker mit einem gemeinsamen Schicksal, ob es uns gefällt oder nicht. Es gibt keine militärische Lösung, es gab sie nie.“ Er fügte hinzu: „Der einzige Weg nach vorne führt über Gerechtigkeit, Frieden und eine jüdisch-arabische Partnerschaft hin zu einer politischen Lösung“, sagte er. „Beide Völker haben das Recht, in Freiheit und Gleichheit in unserer gemeinsamen Heimat zu leben. Aber das erfordert moralischen Mut.“
Gerechtigkeit als Schlüssel für Versöhnung
Der internationale Menschenrechtsanwalt Michael Sfard sprach über die Notwendigkeit von Rechenschaftspflicht und Gerechtigkeit nach dem Krieg. Israel habe „auf unverhältnismäßige und diskriminierende Weise Zehntausende Zivilisten getötet, und zwar auf eine Art und Weise, die nicht mit den Gesetzen des Krieges vereinbar ist“, sagte er. „Wir haben eine Atmosphäre geschaffen, die zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit und zu Völkermord anstachelt.“
Gerechtigkeit werde jedoch nicht durch das israelische Justizsystem erreicht werden, das bislang noch niemanden für die Verbrechen vom 7. Oktober angeklagt hat. „Das Justizsystem versagt nicht – es tut genau das, was die Regierung von ihm verlangt, wenn es um Palästinenser geht“, sagte er und fügte hinzu, dass internationale Gerichte wie der Internationale Strafgerichtshof zur Verfügung stehen, auch wenn dieser aufgrund amerikanischer Sanktionen ebenfalls mit Problemen zu kämpfen hat. „Ungerechtigkeit verschwindet nicht einfach“, sagte er. „Es mag Zeit brauchen, aber wir werden erleben, dass in diesem oder jenem Land Haftbefehle gegen Soldaten erlassen werden, die Selfies von sich gemacht haben, während sie zivile Objekte bombardierten. Wenn es letztendlich kein ernsthaftes System gibt, das den Opfern Gerechtigkeit verschafft, werden wir nicht in der Lage sein, zu heilen“, fügte Sfard hinzu.
Wenn es darum geht, Frieden zwischen Israelis und Palästinenser*innen zu schaffen, müssen die palästinensischen Bürger*innen Israels eine entscheidende Rolle spielen, sagte Dr. Nasreen Haddad Haj Yahya, Co-CEO von NAS Research & Consulting und Vizepräsidentin des New Israel Fund in Israel. „Wenn wir darüber sprechen, wie der Staat Israel uns behandelt, zeigt dies meiner Meinung nach, dass unsere Demokratie eine Scheindemokratie ist“, sagte Yahya. „Wir als Palästinenser, die zwei Sprachen sprechen, die zwei Kulturen kennen, die den Schmerz unserer Familien in Gaza und im Westjordanland verstehen, aber gleichzeitig auch den Schmerz des jüdischen Volkes verstehen (...) wir können die Brücke zwischen den Palästinensern im Westjordanland und in Gaza und dem jüdischen Volk sein, das in Israel und auch in der Diaspora lebt.“
Um diese Kluft zu überbrücken, sei es wichtig, Begegnungen zwischen israelischen und palästinensischen Kindern zu fördern, um ihre gegenseitige Angst abzubauen und ihnen zu zeigen, dass sie mehr gemeinsam haben, als sie vielleicht gedacht haben, sagte Michal Sella, CEO von Givat Haviva. Eine Herausforderung dabei sind jedoch die Politiker*innen, die eigentlich als Vorbilder dienen sollten. „Wir erwarten von Kindern in der Schule, dass sie höflich sind und keine schrecklichen Dinge sagen. Sie sollen nicht rassistisch sein. Sie sollen nicht gewalttätig sein.“ Laut Sella hat das Verhalten israelischer Minister im Fernsehen jedoch einen schlechten Einfluss. „Es ist seltsam, denn sie schauen zu ihren Lehrern auf und denken: ‚Wenn ich so erfolgreich sein will wie ein Minister, kann ich rassistisch und gewalttätig sein, oder?‘ Was sagt man ihnen also?“
Israel und Deutschland – eine besondere Beziehung
Die Redner*innen und Diskussionsteilnehmer*innen sprachen auch über die Reaktion Deutschlands auf den Krieg im Gazastreifen und seine besonderen Beziehungen zu Israel, die nach dem Holocaust entstanden sind. Sie wiesen darauf hin, wie schwierig es teilweise in der deutschen Debatte sei, über die Realitäten des Krieges im Gazastreifen und die israelische Regierung zu sprechen, gerade auch vor dem Hintergrund des Erstarkens der extremen Rechten und dem zunehmenden Antisemitismus im Land.
Dr. Ofer Waldman, Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv, sagte im Gespräch mit Esther Solomon, Chefredakteurin von Haaretz English, dass Deutschland eine Diskussion über Israel und mit Israel führen müsse, „um seine Vergangenheit und Gegenwart zu verstehen“. Er fügte hinzu, dass große Teile der deutschen Politik von einer „beispiellosen und inakzeptablen Irreführung“ betroffen sein, da es keine Frage von ‚entweder oder‘ sei, sondern seiner Meinung nach zwei Lehren aus der gemeinsamen Vergangenheit Israels und Deutschlands gezogen werden können. „Die eine ist die Solidarität mit dem jüdischen Volk und dem Staat Israel“, sagte er. „Aber genauso stark ist das Engagement für die universellen Menschenrechte.“
Dr. Franziska Brantner, Vorsitzende und Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, sagte, dass Deutschland „das Leiden der Palästinenser nicht ausreichend wahrgenommen“ habe, und fügte hinzu, dass die nationale Debatte über den 7. Oktober so schlecht verlaufen sei, dass sie zu wachsendem Antisemitismus geführt habe, wodurch Juden im Land noch unsicherer geworden seien. „Wir müssen den Antisemitismus, der in Deutschland wieder überall auftaucht, wirklich stark bekämpfen, und gleichzeitig müssen wir wirklich dafür sorgen, dass wir auch für das Recht der Palästinenser auf ein Leben in Freiheit kämpfen.“
Zakariyya Meissner, ein palästinensisch-deutscher Pädagoge und Dialogvermittler, sagte, er glaube an die besondere Beziehung Deutschlands zum jüdischen Leben und damit auch zu Israel, aber „ich würde mir wünschen, dass Deutschland diese Verpflichtung als eine universelle Verpflichtung gegenüber den universellen Menschenrechten und der universellen Menschenwürde versteht und nicht als Konkurrenz dazu“. Er fügte hinzu: „Deutschland hat mindestens zwei Völkermorde begangen. Wir müssen besser darin werden, darüber zu sprechen. Indem wir nicht darüber sprechen können, machen wir alles nur noch schlimmer.“
Dervis Hizarci, Autor und Vorsitzender der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus – KIgA e.V., diskutierte, wie Deutschland seine Chance verpasst habe, während des Krieges eine führende Vermittler-Rolle zu übernehmen. „Im jüngsten Konflikt zwischen Israel und Gaza hatte Deutschland die historische Chance, als Vermittler und moralische Stimme aufzutreten“, sagte er. „Aber anstatt mit Zuversicht auf unsere Lehren aus der Geschichte zu setzen, treten wir zurück. Ich nehme an, dass dies mit Unsicherheit und Angst zu tun hat.“
Er fügte hinzu: „Unser Engagement für Israel, für seine Sicherheit, sein Existenzrecht und die Sicherheit seiner Bevölkerung ist unerschütterlich, doch dieses Engagement geht noch weiter. Das moralische Bewusstsein, das nach der Shoah entstanden ist, verbindet uns nicht nur mit Israel, sondern auch mit den Palästinensern. Die Geschichte hat gezeigt, dass die Gründung eines Staates dauerhafte Folgen für einen anderen hatte, und wir tragen die Verantwortung für beide, da beide Völker dieses Land teilen.“
Pressefreiheit in Gefahr
Amos Schocken, Herausgeber der Zeitung Haaretz, wies in seiner Eröffnungsrede auf die Verschlechterung der Pressefreiheit weltweit hin. In Gaza seien Hunderte von Journalist*innen getötet worden, und in Israel verstärke die Regierung von Premierminister Benjamin Netanjahu den Druck auf Journalist*innen, indem sie „Maßnahmen ergreife, die von autoritären Regimes auf der ganzen Welt methodisch angewendet werden“ – darunter auch die Delegitimierungskampagne gegen Haaretz, sagte er.
Die Redner*innen diskutierten auch die Herausforderungen der Berichterstattung über Gaza. Da ausländischen Journalist*innen die Einreise in den Gazastreifen weiterhin untersagt ist, gestalte sich der Zugang zu und die Prüfung von Informationen schwierig. Häufig handele es sich um Propaganda der einen oder anderen Seite.
Christian Meier, Nahost- und Nordostafrika-Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, berichtete von seinen Erfahrungen im Westjordanland, wo er sich Aktivist*innen anschloss, die versuchten, von Siedlern gestohlene Schafe zurückzuholen. Dabei wurde er von israelischen Streitkräften festgenommen. „Internationale Journalisten werden selten festgenommen (...) aber es handelt sich nicht um einen Einzelfall“, sagte er.
„Wir sehen alle möglichen Arten von Bedrohungen gegen Journalisten – ich glaube, wenn ich versuche, die ganze Episode zu verstehen, dann denke ich, dass die Polizei nicht wusste, dass ich ein in Israel akkreditierter Journalist bin“, berichtet er. Stattdessen habe man ihn wohl für einen Aktivisten gehalten,wie viele andere, die festgenommen und manchmal deportiert wurden.
„Es gibt alle möglichen Arten von Widerstand im Westjordanland, was unsere Arbeit als Journalisten erheblich erschwert“, fügte er hinzu. „Wir beobachten eine Verwischung der Grenzen zwischen den Siedlern, der Polizei und der Armee.“
Die Haaretz-Journalistin Hagar Shezaf sagte, dass das, was Meier erlebt habe, Teil des Versuchs sei, Aktivismus durch die unrechtmäßige Inhaftierung von Aktivist*innen zu kriminalisieren. Sie erwähnte auch, wie wichtig es sei, die im Krieg getöteten Journalist*innen aus Gaza zu würdigen.
Shezaf sagte, dass „selbst vor dem 7. Oktober die Berichterstattung über das Westjordanland offensichtlich etwas ist, das in der israelischen Gesellschaft einfach nicht auf großes Interesse stößt“. Seitdem sei „alles viel komplizierter geworden, weil die Stimmung, die Wut und die Rachegelüste in der israelischen Gesellschaft sehr, sehr vorherrschend waren“.
Sie sagte, dass trotz alledem die Informationsquellen über die Misshandlungen im Gefängnis Sde Teiman Soldaten gewesen seien. „Die Situation dort war so schrecklich, und es gab Menschen dort, die sahen, was wirklich vor sich ging, obwohl es kurz nach dem 7. Oktober war und obwohl den Israelis gesagt wurde, dass alle dort Terroristen seien, was nicht stimmt (...). Selbst damals [im Juli 2024] hatten die Menschen eine gewisse Vorstellung davon, dass das, was dort geschah, falsch war.“
Wer ist verantwortlich?
Zu den hitzigsten Diskussionen der Konferenz gehörte die Frage, inwieweit die israelische Gesellschaft insgesamt für die Gräueltaten in Gaza verantwortlich ist – gerade auch vor dem Hintergrund, das auch israelische Künstler*innen und andere lautstarke israelische Kriegsgegner*innen aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit im Ausland immer wieder boykottiert werden.
Maja Sojref, Geschäftsführerin des New Israel Fund in Deutschland, sagte, dass zwischen Israel und der internationalen Gemeinschaft „die Beziehungen an allen falschen Stellen zerbrochen sind. Ich glaube nicht, dass es der richtige Weg ist, den Jugendaustausch abzubrechen oder queere und feministische Organisationen aus Israel auszuschließen.“ Der New Israel Fund ist daran interessiert, Israel als einen demokratischen, sicheren und friedlichen Staat zu sehen. „Wir glauben, dass der einzige Weg dahin darin besteht, zivilgesellschaftliche Organisationen zu unterstützen, die auf die Straße gegangen sind, um zu protestieren, die Menschenrechte im Westjordanland zu verteidigen, humanitäre Hilfsgüter zu sammeln und Lieferungen nach Gaza vor Angriffen von Siedlern zu schützen.“
Auf die Frage nach seiner Aussage, dass er als ausländischer Regisseur seinen Film möglicherweise nicht beim Jerusalem Film Festival gezeigt hätte, antwortete der israelische Regisseur Nadav Lapid, dass seine Vertriebsgesellschaft ihn gefragt habe, ob sie den Film nach Russland schicken solle, was er jedoch abgelehnt habe. Nachdem das Publikum applaudiert hatte, sagte er: „Sie sollten den Regisseuren applaudieren, die ihre Filme nicht nach Israel zum Jerusalem Film Festival schicken.“
Lapid sagte, israelische Künstler*innen sollten sich, bevor sie sich über den Boykott beschweren, fragen: „Was haben wir in diesen zwei Jahren getan? Inwieweit haben sich israelische Künstler aktiv für die Beendigung dieses Grauens, dieses Völkermords, eingesetzt?“
Katja Lucker, Geschäftsführerin der Initiative Musik gGmbH, widersprach seiner Argumentation. „Ist es naiv zu denken, dass wir versuchen, beide Seiten zu sehen, dass wir versuchen, Menschen zusammenzubringen?“ Sie sagte, dass es trotz allem weiterhin Gespräche zwischen den Menschen geben sollte. Sie merkte auch an, dass die Berliner Clubszene still und in vielen Fällen unempathisch gegenüber ihren Kolleg*innen reagiert habe, die beim Nova-Festival ermordet wurden. „Ist es so naiv, dass wir Mitgefühl für alle Opfer haben und dass wir immer noch zusammenkommen und vielleicht einen naiven Dialog führen wollen? Was haben wir denn sonst noch?“
Lapid antwortete: „Das Problem ist, dass die Europäische Union nach zwei Jahren und nach Dutzenden von Jahren der Besatzung nicht die geringste Sanktion verhängen konnte. Die Verantwortlichen künstlerischer Veranstaltungen sahen sich daher gezwungen, die Rolle und Funktion ihrer politischen Führer zu ersetzen“, sagte er. Lucker warf ein und argumentierte, dass die Leiter*innen von Filmfestivals, die Israel boykottieren, „keine Politiker sind“.
Lapid sagte: „Wir wissen, dass es absurd ist, dass nur Filmemacher, Choreografen und Jazz-Schlagzeuger für die Sünden der israelischen Gesellschaft bezahlen müssen, aber diese Absurdität rührt in erster Linie von der Straffreiheit Israels her.“ „Für mich ist es unvorstellbar, dass Iran und Russland mit Sanktionen belegt wurden, während Israel tun und lassen kann, was es will, ohne etwas zu riskieren.
Hier finden Sie die Aufzeichnung des Livestreams zur Konferenz: