Finanzmarkt: Die Macht des Geldes

Atlas

Krisen und Skandale im Bankensektor erfordern bessere Maßnahmen zur Aufsicht und härtere Sanktionen bei Gesetzesverstößen. Inzwischen tun sich deutsche
Geldinstitute beim Kampf gegen Geldwäsche hervor, und Anlagen in nachhaltige Technologien lohnen sich zunehmend.

DAX in Punkten von 1979 bis 2022
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Weltweite politische und wirtschaftliche Krisen haben den Aktienmarkt kurzfristig negativ beeinflusst – Ende 2023 stieg der DAX erneut auf ein Allzeithoch.

Geld an sich ist neutral: Es kann für gute und schlechte Dinge eingesetzt werden. Crashs hat es in der Finanzgeschichte immer gegeben. Auch in den vergangenen Jahren haben Krisen die Anfälligkeit eines Kreislaufs gezeigt, der sein „Blut“, also Geld, in die Wirtschaft pumpt – in Form von Krediten für Konsum, Investitionen oder staatlichen Budgets.  

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Der Wirtschaftsatlas 2024

Die Klimakrise, schwindende Ressourcen und Umweltverschmutzung fordern einen Wandel. Unternehmen und Banken müssen Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung priorisieren. Neue Gesetze sollen Verschwendung stoppen und die Infrastruktur modernisieren. Der Wirtschaftsatlas 2024 der Heinrich-Böll-Stiftung diskutiert die Maßnahmen und gibt einen Überblick über die Wirtschaftsgeschichte.

 

Einen tiefen Einschnitt markierte 2007/2008 die globale Finanzkrise. In den USA hatten Banken ärmeren US-Bürger*innen viel Geld geliehen, damit sie ein Eigenheim erwerben konnten. Diese riskanten Ansprüche der Geldinstitute wurden in „verbrieften“ Finanzpapieren mit werthaltigen Krediten gebündelt und Geldanleger*innen überall auf der Welt angeboten. Das hatte fatale Folgen, als die zuvor niedrigen Zinsen stiegen, die überschuldeten Hausbesitzer*innen in den USA ihre Kredite nicht mehr bedienen konnten und die Immobilien verkaufen mussten. Daraufhin kollabierte erst der Häusermarkt, dann die Investmentbank Lehman Brothers. Weil Geldgeschäfte weltweit eng verflochten sind, pflanzte sich die Krise fort. Regierungen mussten Banken mit hohen Milliardenbeträgen an Steuergeldern retten. Einigen Staaten drohte aufgrund hoher Schuldenstände die Zahlungsunfähigkeit. 

Nach der Krise von 2008 verschärften Regierungen und Aufsichtsbehörden die Richtlinien für Banken. Sie mussten mehr Eigenkapital für Kredite vorhalten. Und doch offenbarte 2023 eine erneute kleinere Bankenkrise weitere Lücken, nachdem die Silicon Valley Bank (USA) und Credit Suisse (Schweiz) durch Missmanagement in Schieflage geraten waren. Kund*innen zogen ihre Gelder im großen Stil ab („Bank-run“). Während das auf Start-ups spezialisierte US-Institut pleiteging, vermittelte der Schweizer Staat mit hohen Finanzzusagen die Übernahme der Credit Suisse durch den lokalen Rivalen UBS. 

 

In Billionen US-Dollar
Weil das globale Finanzvermögen größer ist und deutlich schneller wächst als die weltweite Produktion, spricht man von einer Entkopplung der Sektoren.

In Deutschland alarmierte 2020 die Pleite des Finanzdienstleisters Wirecard die Öffentlichkeit. In der Bilanz des einstigen DAX-Konzerns fehlten auf einmal 1,9 Milliarden Euro, was die staatliche Aufsichtsbehörde Bafin in Erklärungsnot brachte. Auch die Cum-Ex-Steuerskandale offenbarten Fehlleistungen: Finanzinstitute hatten vermögenden Kund*innen geholfen, ungerechtfertigt vom Staat mehrmals Kapital-
ertragsteuer erstattet zu bekommen. Mögliche Hilfen für Steuerhinterzieher*innen spielen auch eine Rolle, wenn Bankkund*innen ihr Vermögen in Briefkastenfirmen exotischer Länder verlagern, so wie es 2016 von Medien in den „Panama Papers“ enthüllt wurde. 

Die Bußgelder für Banken sind bei solchen Fehlverhalten auf nur zehn Millionen Euro gedeckelt. Für ihren verbesserten Kampf gegen Geldwäsche wurden deutsche Banken dagegen im August 2022 von der internationalen Behörde Financial Action Task Force (FATF) gelobt. Insgesamt gibt die fortgesetzte Chronik von Skandalen jenen Recht, die eine bessere Prüfung der Risiken am Finanzmarkt fordern. So müssen Banken bisher für aufgenommene Staatsanleihen kein Eigenkapital vorhalten – obwohl sie im Fall von Zinssteigerungen stark an Wert verlieren können. Der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht hat seit Januar 2023 eine „Verschuldungsquote“ von lediglich drei Prozent verordnet. Sie gibt an, in welcher Höhe alle Aktivitäten einer Bank durch eigenes Kernkapital gedeckt sind. Bezogen auf ihre Risikokredite brauchen Geldinstitute nur vier bis fünf Prozent Eigenkapital.  

In der Zeit nach 2008 haben Vertreter*innen der Finanzlobby weitergehende Reformen verhindert. Noch immer haben nur drei US-Ratingagenturen – S&P, Moody’s und Fitch – die Macht, mit ihren Noten wie „AAA“ („Triple-A“) über Bonität und Kreditwürdigkeit zu entscheiden. Auch wurde nichts aus dem Plan, so wie früher in den USA das Investmentgeschäft einer Bank wieder vom Privatkund*innengeschäft zu trennen („Trennbankensystem“). Fehlanzeige ebenfalls bei der Finanztransaktionssteuer: Diese Umsatzsteuer für Kapitalgeschäfte kommt als Mittel gegen ausufernde Spekulation nicht aus der Planungsphase hinaus. Zudem gibt es eine europäische Bankenunion mit einer einheitlichen Einlagensicherung ebenso wenig wie eine konsequente Regulierung von Schattenbanken. Gemeint sind große Vermögensverwalter wie BlackRock oder Private-Equity-Firmen wie Blackstone, die selbst Kredite vergeben. Die globalen Kapitalmärkte sind heute in der Hand großer Kapitalsammelstellen. Dazu gehören neben Asset-Management-Firmen wie BlackRock zum Beispiel Versicherungen sowie Staats- und Pensionsfonds, zumeist aus Norwegen, von der arabischen Halbinsel, aus Singapur oder China. Vor allem über passive Investmentfonds („ETF“), die mit ihren Algorithmen Aktienindizes wie den DAX oder den Dow Jones abbilden, kommt das Geld der Anleger*innen ins System. ETFs werben damit, bei geringen Gebührensätzen das Risiko zu streuen. Andererseits haben Anleger*innen Anspruch auf Dividende, wenn sie direkt Aktien eines Unternehmens kaufen und so dort zu Anteilseigner*innen werden. 

Seit einigen Jahren verkaufen sich Wertpapiere mit Fokus auf Environment, Social und Governance („ESG“) gut. Das Geld soll in Firmen fließen, die sich ökologisch und sozial gut verhalten sowie ethische Prinzipien in der Unternehmensführung haben. Darüber urteilen spezielle ESG-Ratingagenturen. Nicht selten kam es jedoch zu „Greenwashing“: Fonds erschienen „grüner“, als sie wirklich waren. Die EU-Kommission hat 2023 in einer „Taxonomie“ Standards für Nachhaltigkeit im europäischen Finanzmarkt festgelegt. Dabei werden Atomkraft und Erdgas unter bestimmten Bedingungen als „klimafreundlich“ eingestuft. Sollen nachhaltige Investitionen über die Finanzmärkte besser als bisher gesteuert werden, dann sind Modelle mit triftigen Risikoabschätzungen jenseits politischer Querelen nötig. Auf wissenschaftlicher Grundlage müssen ökonomische wie ökologische Fakten abgebildet werden.