Kreislaufwirtschaft: Vom Abfall zum Rohstoff

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Werden Materialien so oft wie möglich recycelt statt weggeworfen, kann das Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch entkoppelt werden. Um die Klimaziele zu erreichen, müssen Produkte zudem langlebig und reparaturfähig sein.

Wie künftig schon im Produktionsprozess ans Recycling gedacht wird
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Allein sechs Millionen Tonnen Kunststoffabfälle fallen jährlich in Deutschland an. Das sind 76 Kilogramm pro Kopf, 38 davon entfallen auf Verpackungen.

Take, make, waste – auch heute noch dominiert die Wegwerfgesellschaft die Weltwirtschaft. Doch das Verhalten wandelt sich: Bereits Ende der 1990er-Jahre entwarfen der deutsche Chemiker Michael Braungart und der US-Architekt William McDonough den Ansatz einer Kreislaufwirtschaft, damals unter dem Motto „Cradle to Cradle“ – „von der Wiege zur Wiege“. Die Idee dahinter ist es, möglichst viele Rohstoffe am Ende eines Produktlebens zurückzugewinnen, aufzuarbeiten und erneut einzusetzen. Außerdem sollen Neben- und Abfallprodukte der Herstellung wertschöpfend genutzt werden. Das Konzept kann helfen mehrere Probleme zu lösen: Primärrohstoffe wie Gas, Öl oder Kohle zu gewinnen, verursacht 90 Prozent des Artenverlusts sowie des Wasserstresses, geschieht oft unter fragwürdigen Arbeitsbedingungen und ist geopolitischen Risiken unterworfen, wie die Energiekrise im Winter 2022/23 gezeigt hat. Daraus erwachsen wirtschaftliche Abhängigkeiten. Bei Metallerzen und -konzen-traten etwa ist Deutschland sogar zu fast 100 Prozent von Importen abhängig. Eine Entwicklung, die mit der im Pariser Klimaschutzabkommen verankerten Zwei-Grad-Grenze für die Erderwärmung kompatibel ist, wäre ohne Kreislaufwirtschaft unmöglich.

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Der Wirtschaftsatlas 2024

Die Klimakrise, schwindende Ressourcen und Umweltverschmutzung fordern einen Wandel. Unternehmen und Banken müssen Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung priorisieren. Neue Gesetze sollen Verschwendung stoppen und die Infrastruktur modernisieren. Der Wirtschaftsatlas 2024 der Heinrich-Böll-Stiftung diskutiert die Maßnahmen und gibt einen Überblick über die Wirtschaftsgeschichte.

 

In Deutschland gründete sich daher 2019 die Circular Economy Initiative Deutschland (CEID), bestehend aus drei Bundesministerien, 24 Unternehmen und 22 Forschungseinrichtungen. Ihr Ziel war es, zu konzipieren, wie sich die Wirtschaft von einer linearen, ressourcenintensiven Wertschöpfung hin zu einer zirkulären, ressourcenschonenden Wertschöpfung im Jahr 2030 wandeln kann. 2021 legte die CEID einen entsprechenden Plan vor. Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) startete 2021 die Initiative Circular Economy, ein Netzwerk aus 60 Akteuren aus dem gesamten Industriespektrum. Sie verfolgt vier Aufgaben: den European Green Deal zu ermöglichen, stabile Rohstoffmärkte zu sichern, das Produktdesign auf Zirkularität auszurichten und den Klimaschutz zu stärken. 

Über 100.000 Menschen weltweit haben sich bereits beteiligt.
Mit dem Better-Life-Index lässt sich das gesellschaftliche Wohlergehen in elf Themenfeldern vergleichen. Über 100.000 Menschen weltweit haben sich beteiligt.

Die Kreislaufwirtschaft würde wesentlich dazu beitragen, das Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. Deutschland würde dadurch im Jahr 2050 etwa 68 Prozent weniger Primärrohstoffe gegenüber dem Jahr 2018 benötigen. Bisher decken Sekundärrohstoffe nur etwa 18 Prozent des Ressourcenbedarfs in Deutschland. Ein Beispiel, in dem das Konzept „Cradle to Cradle“ schon lange als Ziel existiert, ist die Batterie: 2012 schrieb die EU mit der Recyclingeffizienzverordnung Mindestrecyclingquoten vor. 2022 wurden in Deutschland etwa 213.000 Tonnen Altbatterien dem Kreislauf zugeführt. Dabei wurden rund 169.000 Tonnen Sekundärrohstoffe gewonnen. Allerdings landete nur jede zweite Gerätebatterie überhaupt in der Altbatteriesammlung. Groß ist das Potenzial der Batterien aus Elektroautos: Bis 2030 ließen sich daraus 8.100 Tonnen Lithium, 27.800 Tonnen Kobalt und 25.700 Tonnen Nickel zurückgewinnen, das entspricht einem Materialwert von 1,2 Milliarden Euro. Bis 2050 könnten es 13,8 Milliarden Euro werden. Weil in Deutschland mehr auf die Input-Mengen von Recyclinganlagen geachtet wird als auf deren Output, findet oft ein Downcycling statt, eine Abwertung der wiederverwendeten Stoffe. 2021 beruhten trotz hoher Sammelquoten nur zwölf Prozent der verarbeiteten Kunststoffe auf bereits in Produkten verwendetem Material. Vor allem müssen sich Prinzipien im Produktdesign verändern – hin zu einem nachhaltigen „Design for Repair“. Produktpässe mit standardisierten Datenformaten müssen über die Rohstoffe eines Produkts informieren. Prognosen sind erforderlich, zu welcher Zeit und in welchem Umfang Produkte ihr Lebensende erreichen und fürs Recycling verfügbar sind. Regulatorische und ökonomische Anreize sollten Sekundärrohstoffe attraktiver machen als Primärrohstoffe, etwa durch Rücknahmepflichten für Hersteller, Mindestquoten für zirkuläre Produkte in der Beschaffung durch die öffentliche Hand oder eine höhere Besteuerung von Primärrohstoffen.

Zusätzlich müssen weitere Technologien erforscht und entwickelt werden, nicht nur um Rohstoffe nach Gebrauch zu trennen und aufbereiten zu können, sondern auch um dies bereits bei der Produktherstellung berücksichtigen zu können. So können Upcycling-Prozesse schneller den Sprung vom Labor in die Praxis schaffen. Europaweit muss eine koordinierte Recycling-Infrastruktur aufgebaut werden. Die wiederum benötigt Investitionen und Investitionsanreize. Nicht zuletzt sind Aus- und Weiterbildungsangebote erforderlich, um die nötige Anzahl Fachkräfte zu qualifizieren.