Deutschlands Außenhandel: Globalisierung als Motor

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Über den Außenhandel wird ein Viertel aller Arbeitsplätze in der Bundesrepublik
gesichert. Das wäre nicht möglich ohne den Import von Rohstoffen, Vorprodukten und Dienstleistungen. Das generiert auch im Ausland Wertschöpfung – und schafft Abhängigkeiten. 

Im Jahr 2021, in Prozent
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Die Quote an ausgeführten Waren erhöhte sich erneut für die USA und China, verringerte sich aber stark für Länder wie Saudi Arabien, Katar oder den Libanon.

Im 21. Jahrhundert leben wir in einer Welt mit zahlreichen wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen allen Regionen. Datenaustausch, Migration, Kapitalbewegungen oder der Handel mit Waren und Dienstleistungen – die Globalisierung zeigt sich überall. In Deutschland hat sich die Exportwirtschaft in den letzten Jahrzehnten zu einem wichtigen Motor und Arbeitgeber entwickelt, an dem rund ein Viertel der Arbeitsplätze hängt. Im Jahr 2022 exportierte Deutschland Waren und Dienstleistungen im Wert von zwei Billionen Euro – fast elfmal so viel wie vor 50 Jahren. 

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Der Wirtschaftsatlas 2024

Die Klimakrise, schwindende Ressourcen und Umweltverschmutzung fordern einen Wandel. Unternehmen und Banken müssen Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung priorisieren. Neue Gesetze sollen Verschwendung stoppen und die Infrastruktur modernisieren. Der Wirtschaftsatlas 2024 der Heinrich-Böll-Stiftung diskutiert die Maßnahmen und gibt einen Überblick über die Wirtschaftsgeschichte.

 

Es gibt keine zweite Volkswirtschaft unter den Industriestaaten der G20, die so viel mit dem Ausland handelt, wie Deutschland. Insbesondere in den 1990er- und 2000er-Jahren nahm das Volumen unter anderem durch Entwicklungen bei der Handelsliberalisierung und der EU-Erweiterung stark zu: Während der Wert der exportierten Waren und Dienstleistungen im Zeitraum 1970 bis 1990 nach Angaben der Weltbank zwischen 15 und 23 Prozent gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) schwankte, lag die Exportquote Deutschlands im Jahr 2022 bereits bei 51 Prozent. Zum Vergleich: In den USA beliefen sich die Exporte von Waren und Dienstleistungen im selben Jahr auf nur elf, beim Exportweltmeister China auf rund 21 Prozent. 

Das Qualitätssiegel „Made in Germany“, verbunden mit dem noch vorhandenen technologischen Vorsprung, für das zahlreiche deutsche Unternehmen standen, sorgte dafür, dass die Nachfrage nach Produkten etwa der deutschen Automobilindustrie, des Maschinenbaus oder der chemischen und pharmazeutischen Industrie stark zunahm und hohe Einnahmen generierte. Zudem lieferten die „Hidden Champions“ des Mittelstands weltweit spezialisierte Produkte wie Maschinen, Werkzeuge oder Sportartikel. Die am Exportumsatz gemessen wichtigsten Märkte für die deutschen Exporteure sind Europa und die USA. In die EU, USA, UK und die Schweiz gingen im Jahr 2022 nach Angaben des Statistischen Bundesamts insgesamt rund 75 Prozent der deutschen Warenexporte. Doch sowohl die Binnennachfrage als auch die deutschen Exporte hängen entscheidend von Lieferungen aus dem Ausland ab. Denn heutzutage ist es kaum möglich, Waren und Dienstleistungen herzustellen, ohne dabei auf ausländische Vorprodukte zurückzugreifen. Auf rund 49 Prozent des BIP beliefen sich die deutschen Waren- und Dienstleistungsimporte im Jahr 2022 – ob es sich dabei um in Südostasien hergestellte Textilien, Kakao aus Ghana, Halbleiter aus Südkorea oder Mobiltelefone aus China handelt. 

Im Jahr 2021 wurden aus Deutschland Waren und Güter im Wert von rund 1,38 Billionen Euro ausgeführt. Anteil der Branchen in Prozent
Deutschlands Exportüberschuss ist 2021 gegenüber dem Vorjahr um 4,2 Prozent auf 172,9 Milliarden Euro gesunken. Damit schrumpfte er das fünfte Jahr in Folge.

Zwar entstehen fast drei Viertel der für die deutsche Endnachfrage generierten Wertschöpfung hierzulande. Doch das restliche Viertel wäre kaum durch inländische Wertschöpfung zu ersetzen, ohne dass dabei erhebliche Wohlstandseinbußen entstünden. So steckt hinter einem exportierten Auto im Wert von etwa 50.000 Euro eine französische Wertschöpfung in Höhe von 4.400 Euro, eine US-amerikanische von 4.000 Euro und eine chinesische in Höhe von 3.600 Euro. Was Brennstoffimporte angeht, kam bis vor dem Angriff auf die Ukraine etwa ein Drittel der Öllieferungen aus Russland, beim Erdgas waren es sogar 55 Prozent. Dank des Handelns der Bundesregierung bezieht Deutschland Erdgas heute vor allem aus Norwegen, Belgien und den Niederlanden sowie Flüssiggas aus den USA und ab 2026 auch aus Katar, was wegen des Umgangs dort mit den Menschenrechten umstritten ist. Daten zeigen, dass es zahlreichen Ländern gelungen ist, ihren Lebensstandard durch die internationale Arbeitsteilung zu verbessern: In China wurden so seit den 1990er-Jahren mehr als eine Milliarde Menschen frei von absoluter Armut. Viele Länder Südostasiens werden als attraktive Investitionsstandorte mit geringen Arbeitskosten geschätzt. Das geht jedoch in vielen Fällen zulasten der Nachhaltigkeit. Damit auch dort die hohen Standards eingehalten werden, sind deutsche Unternehmen über das Lieferkettengesetz seit 2023 dazu verpflichtet, ihr Engagement in Drittstaaten daraufhin zu prüfen, ob es gesetzeskonform und positiv zur Entwicklung von Umwelt-, Arbeitnehmer*innenschutz- und Menschenrechtsstandards beiträgt. 

Die Krisen der letzten Jahre haben die Risiken der internationalen Wirtschaftsverflechtungen offenbart. Die durch die Corona-Pandemie bedingte Abschottung ganzer Regionen, etwa in China, die Unterbrechung der Lieferketten für Brennstoffe im Zuge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine oder auch der auftretende Mangel an Medikamenten zeigten, wie abhängig die deutsche Wirtschaft von ausländischer Produktion geworden ist. Um widerstandsfähiger zu werden, gilt es daher, diese Abhängigkeiten zu minimieren, etwa durch Diversifizierung und den Aufbau von Lagerreserven sowie Produktionskapazitäten im Inland.