Energiewende Deutschland: Unter neuem Strom

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Bis 2045 soll Deutschland treibhausgasneutral sein. Damit das gelingt, muss auch die Schwerindustrie dekarbonisiert werden. Das geht nur über einen schnelleren Ausbau erneuerbarer Energien, bessere Speicher sowie neue Leitungen für grünen Wasserstoff.

Der Ortsteil Feldheim der Stadt Treuenbrietzen wird dezentral mit regenerativer Energie und Wärme versorgt,  Gesellschafter*innen sind Hausbesitzer*innen, Gewerbe- und Agrarbetriebe sowie die Stadt
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Energieautarkie bezeichnet die Bilanz der Eigen- versorgung über ein durchschnittliches Jahr, in dem der gesamte Bedarf in der Region selbst erzeugt wird.

Der wirtschaftliche Wohlstand stützt sich bisher auf fossile Energie, die günstig erzeugt werden kann. Mineralöle ermöglichen eine hohe Mobilität über weite Strecken, etwa auf den Weltmeeren. Kohle, Erdöl und Erdgas versorgen Gebäude und Industrie mit Wärme und Strom. Im Jahr 2022 deckten fossile Energien weltweit noch 80 Prozent unseres Verbrauchs. Dieses System muss schnellstmöglich umgestaltet werden, um die verheerenden Folgen des Klimawandels für die Menschheit so gering wie möglich zu halten. Das Klimaschutzgesetz schreibt bis 2030 eine Minderung der Emissionen um 65 Prozent gegenüber 1990 fest. Bis 2045 soll Deutschland treibhausgasneutral sein. 

Cover Wirtschaftsatlas

Der Wirtschaftsatlas 2024

Die Klimakrise, schwindende Ressourcen und Umweltverschmutzung fordern einen Wandel. Unternehmen und Banken müssen Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung priorisieren. Neue Gesetze sollen Verschwendung stoppen und die Infrastruktur modernisieren. Der Wirtschaftsatlas 2024 der Heinrich-Böll-Stiftung diskutiert die Maßnahmen und gibt einen Überblick über die Wirtschaftsgeschichte.

 

Der entscheidende Hebel hierfür ist die Elektrifizierung von Mobilität, industriellen Prozessen und der Wärmeversorgung. Auch Wasserstoff oder klimaneutral hergestellte synthetische Brennstoffe auf Basis von erneuerbarem Strom sind denkbar, allerdings verursacht ihre Herstellung physikalisch bedingt erhebliche Energieverluste. Das macht sie sehr teuer und schränkt den wirtschaftlichen Einsatz auf Bereiche ein, in denen es nicht möglich ist, den erneuerbaren Strom direkt zu nutzen, beispielsweise in der Stahlherstellung, in Flugzeugen oder bei bestimmten chemischen Verfahren.

Der Strombedarf steigt also von heute ungefähr 600 auf etwa 750 bis 800 Terawattstunden im Jahr 2030 –und er muss weitgehend klimaneutral bedient werden. Im Jahr 2023 wurden noch 45 Prozent des Stroms in Deutschland aus konventionellen Quellen wie Kohle oder Erdgas gewonnen. Bis 2030 soll sich das gewaltig ändern: Zuerst endete 2023 die Nutzung der Atomenergie, jetzt wird die Kohleverstromung schrittweise eingestellt – bis spätestens 2038. Im Gegenzug sollen erneuerbare Energien beschleunigt ausgebaut werden. Im Jahre 2023 trugen sie 55 Prozent zur Stromversorgung bei, 2030 sollen es mindestens 80 Prozent sein.  

Noch verläuft der Ausbau der Erneuerbaren schleppend. Viele Projekte scheitern am Arbeitstempo der Genehmigungsbehörden sowie am Widerstand von Kommunen und Bürger*innen. Eine Reihe von Regelungen soll hier die Akzeptanz erhöhen, zum Beispiel Erleichterungen über das Förderprogramm „Bürger- energiegesellschaften“ für Windenergieanlagen oder die Beteiligung der Kommunen an den Erträgen. Zudem soll die Dauer der Planungs- und Genehmigungsverfahren weiter verkürzt werden. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) bestimmt seit 2022, dass der Ausbau im überragenden öffentlichen Interesse liegt: Erneuerbare Energien sind zu bevorzugen, bis die Stromerzeugung nahezu treibhausgasneutral ist. 

Der Ausbau des deutschen Stromnetzes, Stand September 2023
Für eine erfolgreiche Energiewende sollen die Stromnetze auf die Windenergiezentren im Norden und die Solaranlagen im Süden ausgerichtet werden.

Der Naturschutz darf beim Ausbau der Erneuerbaren zwar nicht zu kurz kommen. Doch wenn sich der Klimawandel beschleunigt, weil Wind- und Solarstromanlagen aufgrund von Bedenken des Naturschutzes nicht ausreichend ausgebaut werden, ist der Natur auch nicht geholfen. Kompromisse sind nötig. Rund zwei Prozent der Landesfläche sollen daher als Windvorranggebiete reserviert werden, die mit vereinfachten Genehmigungsverfahren schneller erschlossen werden können. Das reicht, um den einheimischen Energiebedarf (ohne den für Wasserstoff oder synthetische Brennstoffe) zu decken und lässt gleichzeitig dem Artenschutz Raum.

Zwar erwartet die Internationale Energieagentur IEA, dass erneuerbare Energien schon im Jahr 2025 weltweit mit 35 Prozent die wichtigste Stromquelle sein werden. Doch noch wächst der Energiehunger in China und Südostasien schneller als der Ausbau – auch weil viele westliche Länder Teile ihrer Produktion dorthin verlagert haben. Deshalb steigen die Klimagasemissionen noch immer global auf neue Rekordwerte. 

Für eine erfolgreiche Energiewende müssen auch die Stromnetze in Deutschland auf die neuen Erzeugungszentren der Windenergie im Norden des Landes und der Sonnenenergie im Süden ausgerichtet sowie die Speicher ausgebaut werden. Die Trassenplanung für den Netzausbau liegt schon lange fest, jedoch verzögert sich der Ausbau aufgrund von lokalen Widerständen und langwierigen Genehmigungsverfahren. Auch wenn heimische erneuerbare Energien als „Friedensenergie“ gelten, drohen doch neue geopolitische Risiken. So produziert bisher China den überwiegenden Anteil der Solarpaneele für die Photovoltaikanlagen und auch der Batterien, die für die Elektromobilität nötig sind. Auch der Bezug von Wasserstoff aus nicht demokratischen Staaten birgt ethische und politische Gefahren. Um die Energieversorgung Deutschlands langfristig zu sichern, soll ein möglichst großer Anteil aus Europa stammen, so der Plan der EU. Auch die Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie im Jahr 2023 trägt der neuen Lagebewertung Rechnung. Die inländischen Kapazitäten für die Erzeugung sogenannten grünen Wasserstoffs sollen bis 2030 auf nun zehn Gigawatt statt wie bisher nur fünf Gigawatt ausgebaut werden. Ein Fernleitungsnetz von 1.800 Kilometern Länge soll schon in wenigen Jahren die wichtigsten Industriezentren, Speicher und Kraftwerke miteinander verbinden und den Anschluss an die europäischen Importkorridore schaffen. Europaweit werden weitere 4.500 Kilometer hinzukommen.